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Abtreibungsgesetz : Straffrei, aber geächtet

  • -Aktualisiert am

Mit einer Kundgebung vor dem Berliner Reichstagsgebäude fordern Demonstranten die Abschaffung von Paragraf 219a. Bild: Imago

Die Debatte zum Paragraphen über das Verbot der Werbung für Abtreibung wirft Fragen auf: Können Politiker Reklame und Information nicht unterscheiden? Und verhindert das Gesetz auch nur eine einzige Abtreibung?

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          Eine Dystopie wollte Elisabeth Winkelmeier-Becker heraufbeschwören. Dazu malte die CDU-Abgeordnete bei der Bundestagsdebatte um den Paragraphen219a StGB zur „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ den Zuhörern aus, was Kliniken künftig auf ihre Websites schreiben könnten: „In unserer Klinik fühlen Sie sich wohl. Wir haben Verständnis für Ihre Situation. Unser Team hat jahrelange Erfahrung, tagtägliche Routine. Bitte bringen Sie bequeme Kleidung und Bargeld mit.“

          In diesem Punkt hat Frau Winkelmeier-Becker recht: Ein solcher Text wäre Werbung. Allerdings nicht Werbung für eine Abtreibung, sondern für eine Klinik. Die Parlamentarierin macht ihrerseits Werbung für eine moralische Position, indem sie ein Szenario an die Wand malt, das sich so nicht verwirklichen wird. Keine Klinik fordert Patienten auf, Bargeld mitzubringen. Dass wiederum der Hinweis auf die jahrelange Erfahrung einer Klinik als Schreckensbild verkauft wird, zeigt wie andere Beiträge zur aktuellen Diskussion vor allem eins: Es geht nicht darum, ob Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Es geht darum, ob man Frauen, die abtreiben wollen, nicht doch bestrafen darf, obwohl das Gesetz den Vorgang als straffrei ausweist. Indem man dafür sorgt, dass diese Frauen sich noch beim Arzt so elend und unsicher wie möglich fühlen.

          Denn „Werbung“ bedeutet im Sinne dieses Paragraphen auch Information. Wenn ein Arzt auf seiner Website schreibt, er biete Abtreibungen an, und erklärt, wie das vonstatten geht, kann er dafür verurteilt werden – so wie im Fall der Ärztin Kristina Hänel. Auch weitere Parlamentarier von Union und AfD zeigten sich in der Debatte überzeugt, Information ließe sich von Werbung kaum trennen und werde einen regelrechten Abtreibungstrend auslösen. Nun könnte es eine Besonderheit von Berufspolitikern sein, dass es ihnen schwerfällt, Werbung von Information zu trennen. Der VW-Konzern dagegen konnte es gut, als er mit Abgaswerten warb, die unter Informationsgesichtspunkten anders hätten angegeben werden müssen. Und auch wir würden es uns zutrauen, einen Arzt, der für Abtreibungen oder auch nur für seine eigenen Leistungen würbe, von einem Arzt zu unterscheiden, der einfach nur mitteilt, worum es sich bei diesem Eingriff handelt. Anpreisende Werbung ist Ärzten ohnehin verboten, auch für andere Eingriffe.

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          Wenn sich heute eine Frau zu einer Abtreibung durchringt, muss sie zu einer psychosozialen Beratung. Sie erhält danach eine Liste mit Ärzten – theoretisch. Praktisch wissen auch viele Beratungsstellen nicht, welche Ärzte Abbrüche vornehmen. Gerade auf dem Land gibt es wenige; ohne einen Tipp muss die Frau sich durchtelefonieren. Außerdem muss der Arztbesuch spätestens zwölf Wochen nach der Befruchtung terminiert sein. Das ist keine lange Zeit, schließlich weiß die Frau nicht seit der ersten Woche, dass sie ungewollt schwanger ist. Vielleicht gibt sie in der dritten das Warten auf die Periode auf. Dann muss sie zum Gynäkologen. Anschließend soll sie Zeit haben, sich vielleicht doch für das Kind zu entscheiden. Als Nächstes steht der Termin bei der Beratungsstelle an. Dann die Arztsuche.

          Hier beginnen die Probleme, die der Frau zusätzlich gemacht werden sollen. Die Hoffnung, indem man es ihr möglichst schwer mache, entscheide sie sich noch um, hat die Geschichte längst zunichtegemacht. Frauen haben schon immer abgetrieben, unter den entsetzlichsten, riskantesten Bedingungen. Die Schriftstellerin Benoîte Groult hat eindrücklich beschrieben, wie sie und andere Frauen in den vierziger Jahren Stricknadeln dazu benutzten. Tausende Frauen starben jedes Jahr auch in Deutschland an den Folgen stümperhaft durchgeführter Eingriffe. Das ist es, was man Leidensdruck nennt. Eine Frau, die wirklich abtreiben will, wird es tun, irgendwie.

          Was den Frauen in dieser Debatte abgesprochen wird, ist nicht das Recht auf Abtreibung. Dieser Punkt ist bereits juristisch geregelt, der Kompromiss lautet „verboten, aber straffrei“. Ihnen wird das Recht abgesprochen, sich einen Arzt auszusuchen, von dem sie über seine Website erfahren, dass er diesen Eingriff nicht zum ersten Mal vornimmt, sondern Routine hat. Und das Recht, sich qualifiziert informieren zu lassen. Wer heute im Internet versucht, sich über die medizinische Seite eines Abbruchs zu informieren, landet leicht in Foren und auf nicht immer seriösen Websites. Ist es wirklich so abwegig, die Aufklärung den Ärzten zu überlassen, die sich damit auskennen?

          Aber die Ärzte, heißt es, hätten Eigeninteressen. Grob anstößig sei darum schon die Information, weil die Arztpraxis vom Entschluss, bei ihr abtreiben zu lassen, einen Einkommensvorteil hat. Doch wenn alle Praxen, die solche Eingriffe vornehmen, dieselbe transparente Information anböten, fiele dieser Werbeeffekt weg. 98721 Frauen wurden von sämtlichen Erschwernissen im Jahre 2016 nicht von einem Schwangerschaftsabbruch abgehalten. Das sind erschreckend viele. Schwangere Frauen in Notsituationen brauchen Hilfsangebote, damit sie sich vielleicht doch für ihr Kind entscheiden. Man darf sie nicht allein lassen. Auch nicht, wenn sie dann doch ärztliche Informationen zu einem Abbruch suchen.

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