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Organspenden : Der Staat als Firma

Jens Spahn mit einem aktuellen Organspendeausweis. Bild: dpa

Jens Spahn will bei der Organspende Schweigen als Zustimmung deuten. Damit bringt er sogar diejenigen gegen sich auf, die schon jetzt einen Organspendeausweise haben. Das ist kein Wunder.

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          Kann man das begreifen? Brigitte Büscher, die Zuschaueranwältin bei „Hart aber fair“, berichtet von einem Zuschauer, der vorgestern Abend, als Jens Spahn (CDU) in der Sendung seine sogenannte doppelte Widerspruchslösung zur Organspende verteidigte, zu Protokoll gab: Er, der Zuschauer, habe seinen Organspendeausweis zerrissen und damit seine Spendenbereitschaft widerrufen, weil ihn die Widerspruchslösung empöre.

          Christian Geyer-Hindemith
          Redakteur im Feuilleton.

          Eine Reaktion auf diesen Gesetzentwurf, wie sie kein Einzelfall sei, sagte Frau Büscher. Ja, begreiflich ist das schon, dass Spahn jetzt auch die Organspender gegen sich aufbringt. Weil die Widerspruchslösung gerade keine vertrauensbildende Maßnahme darstellt, wie sie dem mit Vorbehalten behafteten Transplantationswesen guttäte, sondern als staatliche Zwangsveranstaltung geeignet ist, kontraproduktive Effekte hervorzurufen. Der Zwang wäre ebendieser: dass es der Widerspruchslösung zufolge, sollte sie sich im Bundestag durchsetzen, ausreicht, bei Lebzeiten nicht nein gesagt, nicht widersprochen zu haben, um sterbend automatisch seine Organe entnommen zu bekommen.

          Da kann Spahn noch so oft behaupten, ihm gehe es doch nur darum, dass sich die Leute mit dem Thema Organspende überhaupt beschäftigen. „Schädlich“ nennt diesen Regelungsvorschlag Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“, und im Übrigen „unnötig“, weil sich die Zahl der gespendeten Organe durch Strukturreformen in den Krankenhäusern, nicht aber durch eine Widerspruchslösung steigern lasse, wie in der Tat ein Blick ins Ausland zeigt. Die vorgeschlagene Widerspruchslösung sei schädlich, „weil sie das Vertrauen in das System, das ja nun wirklich schon prekär ist, noch mal unterminiert, weil im Grunde jetzt nicht mehr gilt: Zustimmung – Spende. Sondern jetzt ist jeder, der nicht ausdrücklich sich dagegen artikuliert, automatisch ein Organspender, und damit wird für mich der Körper nach dem Hirntod zu einem Objekt der Sozialpflichtigkeit.“

          Im Grunde hat sich der Gesundheitsminister zu solcher Sozialpflichtigkeit des menschlichen Körpers aber bekannt, als er bei „Hart aber fair“ die entscheidende Prämisse offenlegte, um von Staats wegen dem Sterbenden Organe zu entnehmen, wenn dieser dazu geschwiegen hat (es scheint tatsächlich angemessener, vom Sterbenden zu sprechen als vom Toten, denn das Herz schlägt noch und der Körper ist noch warm, wenn nach dem festgestellten Hirntod die Organe entnommen werden). Was also ist Spahns Prämisse? Spahn erklärte, er verfolge mit seiner Widerspruchslösung im Gegensatz zur geltenden Entscheidungslösung einen „gesellschaftlich-moralischen Ansatz“ und nicht länger den „individuellen Ansatz“.

          Was heißt dies aber anderes, als vorab die subjektiven Rechte einem angenommenen gesellschaftlichen Gesamtinteresse unterzuordnen? Das ist das eigentlich Bemerkenswerte an der Unbekümmertheit, mit welcher der Gesundheitsminister die verfassungsschonendere Gesetzesvariante verwirft, wie sie von der Grünen Annalena Baerbock und Ulla Schmidt (SPD) vorgestellt wird (verbindliche Abfrage der Spendenbereitschaft etwa bei der Beantragung eines Personalausweises – womit der Staat weiterhin auf eine positiv artikulierte Entscheidung seiner Bürger angewiesen bliebe statt auf Schweigen).

          Spahn hat keine Bedenken, den Staat zur Firma zu machen, der sich marktgängig nicht lange mit umständlich zu sichernden Grundrechten aufhält. Dieser Gesundheitsminister führt sein Haus im Stile jener großen digitalen Plattformen, die an der Auszehrung der Staatlichkeit, ihrer institutionellen Vermittlungen arbeiten, um so dereguliert und „unkompliziert“ wie möglich das Versprechen der direkten Teilhabe zu erfüllen, in diesem Falle der Teilhabe an Herz und Nieren.

          Genau dies dürfte die Skepsis im Parlament und bei den Bürgern gegenüber der Widerspruchslösung auslösen, bis hin zum empörten Zerreißen von Spendeausweisen: dass der Staat seine schweigend vollzogene Organentnahmen frank und frei mit dem Glück der größeren Zahl (auf den Wartelisten) begründet, seit Jeremy Bentham die klassische Formulierung für das utilitaristische Kalkül. Wenn für beinahe jeden Datentransfer mittlerweile das Einverständnis der Bürger eingeholt werden müsse, um wie viel mehr müsse solche Ausdrücklichkeit bei der Erlaubnis zur Organspende gelten? „Sie können das so drehen“, sagte Spahn bei „Hart aber fair“. Er drehe es nun einmal anders – gesellschaftlich, versteht man, nicht individuell.

          Der Staat nimmt sich in Gestalt seines Gesundheitsministers heraus, bei der den Artikel 2 des Grundgesetzes berührenden Frage der Organspende Schweigen als Zustimmung zu deuten. Er tut dies, ohne ausschließen zu können, dass aus welchen Gründen auch immer es im Einzelfall einfach nur versäumt wurde, zu widersprechen. Gegebenenfalls wird man sehen, ob die Verfassungsrichter bei diesem übergriffigen Vorgehen das Recht auf individuelle Selbstbestimmung, aber auch auf körperliche Unversehrtheit hinreichend gewährleistet sehen. Hat der Staat nicht die Grundrechte des Einzelnen gerade auch gegen den Zugriff des Staates selbst, gegen den moralischen Druck von Wartelisten, zu schützen?

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