Oh, du bist noch hier?
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„Letter To The Father“ von Chaza Charafeddine, im Mina Image Centre, Beirut. Bild: Chaza Charafeddine
Der Libanon ist ein von Katastrophen und Korruption gebeuteltes Land. Die Kunst aber bleibt standhaft, auch wenn viele Menschen das Land frustriert verlassen.
Viele Besucher waren nicht ins Kulturzentrum „Ashkal Alwan“ gekommen. Zwanzig, dreißig Leute vielleicht. Aber manchmal braucht es ja nur einen, der die richtige Frage stellt, so wie an diesem vor einer Weile vom Goethe-Institut organisierten Abend, an dem es um das gesellschaftliche Miteinander als Antwort auf die spalterischen Kräfte in Libanon ging und um Formen der Partizipation in Kunst und Theater. Es war einiges zu hören über „Mikrotheater“ in den zerstörten Gegenden nach der Explosion im Hafen von Beirut. Über Nachbarn, die ihre Viertel mit Wandgemälden verschönern. Bis nach zwei Stunden einem jungen Mann aus dem Publikum der Kragen platzte. Was Partizipation überhaupt heißen solle, fragte er, nach all den Katastrophen, die Libanon heimgesucht hätten. Die Frage sei doch, was mit einem Kunstwerk eigentlich geschehe und was von dem Zusammenspiel zwischen Künstler und Publikum übrig bleibe, wenn einer von beiden verschwinde.
Dass die Menschen lieber zu Hause bleiben, statt sich dem Risiko einer Infektion bei einer Veranstaltung auszusetzen, ist in Pandemiezeiten zwar kein Problem, das man nur in Libanon kennt, allerdings bleiben die Menschen hier nicht nur zu Hause: Sie verlassen gleich das Land. Seit Monaten feiert man Abschiedspartys, man hört Geschichten von diesem und jenem, der nun auch gegangen sei, obwohl gerade dieser und jener doch so verbunden war mit dem Land und der Stadt. Der ohnehin stets kleine Kreis derer, die sich so beharrlich für das kulturelle Leben in Beirut interessierten, schrumpft schnell. Der am meisten gehörte Satz bei Vernissagen in diesen Tagen ist ein erstauntes „Oh, du bist noch hier?“, gefolgt von Erinnerungen an alte Zeiten, die bei weitem noch nicht so lang her sind, wie es sich anfühlt, gerade mal zwei Jahre. Aber das ist eine Ewigkeit im Angesicht einer vorläufig gescheiterten Revolte, einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die von der Weltbank zu den drei schlimmsten weltweit seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gezählt wird, sowie der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut. All dies treibt die Menschen in die Emigration.
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