Papst über Fundamentalismus : Gewalt schlummert im Herzen der Religion
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Schlauer, als er zuweilen tut: Papst Franziskus in Bangui Bild: AFP
Papst Franziskus ist ein Meister der flexiblen Metapher. Das hat er jetzt wieder auf seiner Afrika-Reise bewiesen – mit widersprüchlichen Aussagen über das Verhältnis von Religion und Gewalt.
Ein Markenzeichen, wenn nicht das Markenzeichen des gegenwärtigen Papstes scheint zu sein, die Worte nicht auf die Goldwaage zu legen. Wer da im Ratzinger-Stil nachjustieren möchte und auf Begriffsarbeit pocht, sieht sich schnell als Fundamentalist, jedenfalls aber als lebensfern gebrandmarkt. Es ist diese Drift weg vom vermeintlich unfruchtbaren Theologengezänk und hin zum Pastoralen, die das Pontifikat unter das Motto Erich Kästners stellt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Orthopraxie (das rechte Handeln) scheint allemal wichtiger als Orthodoxie (die offizielle Lehre) – diese gefühlte Absage an den jesuitischen Formelkram, die dem Jesuiten auf dem Papst-Thron den Bonus der Lebensnähe verleiht, bringt ihm als Reformpapst Sympathien ein, selbst wenn die Reformen ausbleiben.
Dabei gehorchen seine pastoralen Texte durchaus einer jesuitisch geschulten Hermeneutik des Hintertürchens: Formuliere die Dinge mit hinreichender Unschärfe stets so, dass alle Türen offen bleiben, und sei es zunächst auch nur einen Spalt, durch den dann später eine neue Lehre wehen kann. Man erinnere sich nur an den inflationären Türmetapher-Gebrauch nach der jüngsten Familiensynode in Rom. Es seien keine Türen geschlossen worden, sondern Türen geöffnet für das weitere Überlegen, erklärte etwa Reinhard Kardinal Marx am Ende der römischen Versammlung, womit er beim Papst freilich nur offene Türen einrannte.
Goldene Worte
So sollte man bei aller Authentizität, die Franziskus so sympathisch macht, dessen strategisches Verhältnis zu den Worten, die er spricht, und den Bildern, die er abgibt, doch beileibe nicht unterschätzen. Auch wenn sich nur Reförmchen und keine Reform abzeichnen, so werden hier doch reformerische Fährten in die Zukunft hinein gelegt, die das nächste Pontifikat aufnehmen – oder kassieren kann.
Zeitgebunden insoweit auch die jüngste Aussage zum Thema Gewalt und Religion, die der Papst vorgestern in der Zentralafrikanischen Republik machte: Wer an Gott glaube, müsse ein Mensch des Friedens sein, sagte Franziskus in der Koudoukou-Moschee von Bangui. Als Appell zur Befriedung einer brandgefährlichen Situation sind das goldene Worte. Aber als Lehraussage, als religiöse Analyse bleibt dieser Friedensappell ein Wünschen. Das wurde noch einmal offenbar, als der Papst wenig später auf dem Rückflug nach Rom die Gewalt von der Religion dergestalt abspaltete, dass er die Gewalttäter Fundamentalisten nannte und apodiktisch erklärte: „Religiöser Fundamentalismus ist nicht religiös, weil Gott darin fehlt.“
Das kann man aus gutem Grund so festlegen wollen. Aber lässt sich das Gewaltpotential einer Religion tatsächlich dadurch unterschlagen, dass man religiöse Gewalttäter per se gottlos nennt und ihren Anspruch, im Namen Gottes zu morden, einfach ignoriert und mit dem Etikett „Fundamentalismus“ versieht? Spricht die Religion in Geschichte und Gegenwart nicht eine andere Sprache? Im Blick auf den Terror des „Islamischen Staates“ hatte Navid Kermani in seiner Friedenspreisrede klargestellt, er widerspreche jedem Muslim, dem angesichts des IS nur die Floskel einfalle, dass die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe. Muss das auch dem Papst entgegengehalten werden? Natürlich berufen sich in den meisten islamisch geprägten Ländern staatliche Autoritäten und theologische Schulen auf den Islam, „wenn sie das eigene Volk unterdrücken, Frauen benachteiligen, Andersdenkende, Andersgläubige, Anderslebende verfolgen, vertreiben, massakrieren“, erklärte Kermani – was der Tatsache keinen Abbruch tue, dass der Anspruch des IS, für den Islam zu sprechen, von maßgeblichen Autoritäten der islamischen Welt zurückgewiesen worden sei und es darum gehen müsse, die friedfertigen Traditionen dieser Religion nach Kräften zu stärken.
Im selben Terror-Boot?
Gewalt lässt sich, mit anderen Worten, nicht als Fundamentalismus von der Religion abspalten. Gewalt schlummert im Herzen der Religion. Auch in der heiligen Schrift der christlichen Religion gibt es genügend Hinweise dafür, dass Gott zwar nicht notwendigerweise ein bellizistischer Gott ist, es aber andererseits auch nicht für nötig hält, der Welt – gelinde gesagt – ein stets freundliches Gesicht zu bieten. Im ersten Buch Mose erteilt dieser Gott Abraham den Befehl, seinen Sohn Isaak zu töten – jene ungeheuerliche, in letzter Sekunde dann doch noch vereitelte Zumutung, die Sören Kierkegaards Schrift „Furcht und Zittern“ ihren Namen gab. Und im Neuen Testament erklärt Jesus, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ist nun Gott der Fundamentalist oder jeder Exeget, der solche und andere Passagen nicht nur als literarische Metaphern liest, sondern ihnen einen theologischen Gehalt zuspricht?
Wie nun allerdings der Papst darauf kommt, auf dem Rückflug von Rom den aktuellen islamistischen Terror mal eben mit den christlichen Religionskriegen der Geschichte zu analogisieren, fällt wohl unter die hermeneutische Maxime, seine Worte nicht auf die Goldwaage zu legen. „Auch wir (Christen) müssen Gott um Vergebung bitten“, so Franziskus. Ja, wenn das nicht heißen soll: Wir sitzen doch alle im selben Terror-Boot. Bei diesem Papst kann man nie wissen, welche Türe er gerade offen hält.