Anschlagsziel Toleranz : Was den Nazi und die Islamisten eint
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Teilnehmer der islamkritischen Legida-Bewegung Bild: dpa
Der rechtsextreme Massenmörder und die Terroristen des „Islamischen Staats“ kämpfen gegen die bunte Gesellschaft. Sie sind Brüder. Das wurde mir klar, als ich jetzt von Anders Breivik Post bekam. Ein Gastbeitrag.
Vor ein paar Tagen lag in meinem Briefkasten ein brauner Umschlag zwischen den Zeitungen. Mein Name und meine Adresse waren mit Schreibmaschine auf ein weißes Blatt geschrieben worden, ausgeschnitten und aufgeklebt wie eine Visitenkarte. Der Umschlag kam aus Skien, einer Kleinstadt einige Stunden südlich von Oslo, in der eines der Hochsicherheitsgefängnisse des Landes liegt. Ich wusste auf den ersten Blick, von wem der Brief kam.
Er stammt von dem verurteilten Terroristen Anders Breivik und ist der erste Brief, seit mein Buch „Einer von uns“ über ihn und seine Opfer vor zwei Jahren erschien. Das überraschte mich etwas, denn ein Forscher, der ihn interviewen sollte, erzählte mir, dass eine der Bedingungen, die der Terrorist für ein Treffen mit ihm gestellt hatte, darin bestand, dass mein Name während des Gesprächs mit dem Forscher nicht fallen dürfe.
Der Traum vom Aufstand
Breivik darf Besuch bekommen, sofern es keine Gesinnungsgenossen sind, aber er darf seinen Terrorkampf von der Zelle aus nicht fortführen, wie er es sich erhofft hatte. Was er verschickt, wird zensiert. Der Brief beinhaltet mehrere Passagen, die mit schwarzer Tusche durchgestrichen sind. Ob er selbst diese Abschnitte durchgestrichen hat oder die Vollzugsbehörden, weiß ich nicht.
Der Brief ist ein weiterer Beitrag zum monomanen Kampf, den der Terrorist gegen den Islam und für das führt, was er als nordische Rasse bezeichnet. Er hat eine Partei namens „Nordischer Staat“ gegründet, in der er vorläufig das einzige Mitglied ist, so wie er vor dem 22. Juli 2011, als er in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, auch das einzige Mitglied der „Knights Templar“ war. Im Brief beklagt er sich, keinen Kontakt zu seinen „Freunden, Unterstützern und dem Rest der Bewegung“ haben zu dürfen. Sein Traum war ja ein Aufstand, der ganz Europa erfasst, inspiriert von seinem Massaker. Er sah sich als Führer eines Verbundes militanter Nationalisten, die sich in den Gefängnissen radikalisieren sollten, um eine „konservative Revolution“ zu starten, die ein für alle Mal die Muslime aus Europa vertriebe.
Am Abend desselben Tages kamen die Nachrichten aus Paris. Die dortigen Massenmorde wurden von Männern ausgeführt, die der perfekte Feind und ein Spiegelbild des norwegischen Terroristen sind.
Die Nationalmannschaft als Ziel
In Norwegen erfolgte der Angriff von innen. So war es auch in Frankreich. Fünf der Pariser Terroristen sind als französische Staatsbürger identifiziert worden. Sie töteten ihre eigenen Mitbürger, Bürger, die sie hassten und verabscheuten, nachdem sie durch den extremen Islamismus radikalisiert worden waren.
Sie übernahmen die Hass-Ideologie des IS: Menschen sollen ausradiert werden, einige stehen über anderen, es gibt nur eine Religion. Man dehumanisiert die Opfer, nennt sie Insekten und Schädlinge. Augenzeugen zufolge sagten die Terroristen, während sie schossen, dies sei eine Rache für Frankreichs Bomben auf Syrien. Allerdings griffen sie keine Militäranlagen oder Symbole französischer Macht an. Sie griffen auch nicht Islamkritiker oder Rechtspopulisten an, so wie Breivik keinen Massenmord an denen beging, die er hasst, Muslime etwa. Hier wie dort richtete sich der Angriff gegen die Jungen, Progressiven, die Toleranten.
„Charles de Gaulle“ : Erster Angriff auf IS von Flugzeugträger aus
Die Terroristen von Paris griffen das 11. Arrondissement an, Orte, an denen sich die Pariser an einem Freitagabend zu einem Essen oder einem Apéritif versammeln, bevor sie weiterziehen, zu einem Konzert etwa im Bataclan. Hier wohnen die „bobos“, die sowohl bohème wie bourgeois sind, und hier wohnen die Hipster-Sozialisten. Bei der letzten Wahl wurde in Paris eine Sozialistin zum Bürgermeister gewählt, von diesen Vierteln kamen auch die grünen Stimmen. Le Pen, Nationalisten und Einwanderungskritiker schlugen sich schlecht. Auch die französische Nationalmannschaft mit ihren Fans war ein perfektes Ziel. Sie ist ein gelungenes Integrationsprojekt. Die Mehrheit der Spieler hat einen anderen Hintergrund als den ethnisch französischen. Nur die Leistung zählt. Und sie ist ein Nationalsymbol mit ungeheurer Kraft.