Anschlag von Nizza : Und alle zücken ihre Handys
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Gedenken: Am Tag nach dem Anschlag auf der Promenade des Anglais in Nizza. Bild: dpa
Jeden Augenblick auf einen Terroranschlag gefasst zu sein, bedeutet für viele offenbar, schnell zum Smartphone zu greifen und zu filmen. Das Video von Richard Gutjahr in der ARD wirft dazu ein paar Fragen auf.
Während Maybrit Illner am Donnerstagabend im Zweiten in Überlänge darüber diskutieren ließ, was von Europa ohne die Briten bleibt, ging über den Nachrichtenticker, was Europa in seinen Grundfesten bedroht: islamistischer Terror, dieses Mal ausgeübt in Nizza, von einem einunddreißig Jahre alten Franko-Tunesier, der sich einen Lastwagen lieh, um mit diesem auf der Strandpromenade so viele Menschen zu Tode zu fahren wie möglich.

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Wie er zu seiner mörderischen Fahrt ansetzte, war im „Nachtmagazin“ der ARD zu sehen. Der Journalist Richard Gutjahr hatte das Auftauchen das Lastwagens mit seinem Handy gefilmt. Während er in die Sendung geschaltet war und im Gespräch mit der Moderatorin Gabi Bauer seinen Augenzeugenbericht ablieferte, lief im Hintergrund sein Handy-Video gleich mehrmals. Solche Aufnahmen gab es auch auf anderen Sendern, von n-tv bis France 24, doch zeigten diese in Panik flüchtende Menschen, im „Nachtmagazin“ und bei Gutjahr hingegen gab es zuerst den Lastwagen zu sehen, wie er in die Menschen rast und dann die auf der Straße liegenden Leichen.
Jeder will Reporter sein
Das Video läuft online inzwischen nicht nur bei der ARD. Es zeigt den Terror, live aufgenommen, quälende zwei Minuten lang. Es zeigt, dass man sich gegen solche Anschläge nicht schützen kann. Es zeigt abermals, was Islamisten im Sinn haben - wahllos massenhaft zu morden und die freie, offene Gesellschaft so zu ängstigen, dass sich die Menschen nicht mehr auf die Straße trauen. Doch selbst zu Hause sind wir nicht mehr sicher, das hat der Doppelmord von Mangnanville gezeigt, bei dem ein Islamist ein Polizistenpaar vor und in dessen Wohnung ums Leben brachte.
All das liegt in den Bildern, die das „Nachtmagazin“ hatte, die aber noch etwas anderes zeigen: Lauter Menschen, die ihre Handys zücken und - wie Richard Gutjahr auch - den Horror filmen, sich um dessen Opfer aber nicht kümmern, selbst wenn sie vor ihren Füßen liegen. Auch das sehen wir im „Nachtmagazin“, das sich schon die Frage gefallen lassen muss, ob es mit den Aufnahmen des Massenmords - Gutjahr filmte zum Glück aus einiger Entfernung -, nicht genau jenen Schritt zu weit Richtung Sensationalismus gegangen ist, gegen den sich öffentlich-rechtliche Nachrichtenmacher so gerne verwahren.
Richard Gutjahr, bei dem derlei Kritik anbrandete, twitterte, er habe sein „Footage an BR/WDR/ARD geschickt. Dort sitzen Profis“. Für seine vielen Twitter-Kumpels war der Fall damit erledigt: professionell gemacht, Kopf hoch. Die „Profis“ vom SWR dankten ihm für die „professionelle Arbeit“. Der von ihm daran angeheftete, ältere Tweet mit einem Witz von einem Frisör und einem Journalisten ist wohl auch nur was für Profis, die sich ihrer Façon so selbstsicher sind wie die Kollegen der ARD.