Montesquieu hat recht : Warum uns Trump zu Verfassungspatrioten macht
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Auf seinen Gedanken gründet die Lehre der Gewaltenteilung: Charles De Secondat, Baron De Montesquieu (1689-1755) als Porzellanplastik, um 1784. Bild: Picture-Alliance
Unsere Verfassungen sind keine Schönwettertexte. Es ist gar nicht schlecht, dass wir ihnen einmal bei der Arbeit zusehen. Dann wissen wir besser, worauf genau wir stolz sein können. Ein Gastbeitrag.
Sind wir stolz auf unser Grundgesetz? Sind wir Verfassungspatrioten? Haben wir verstanden, dass wir glücklich sein dürfen, Teil der westlich-liberalen Verfassungstradition zu sein? Natürlich, ja, würden wohl die meisten antworten. Wenn wir auf irgendetwas stolz sein können, dann auf unsere Verfassung und auf unser ihr folgendes und weitgehend auch entsprechendes gesellschaftliches Leben. Aber ganz begriffen haben wir unsere Verfassung offenbar nicht. Das zeigt uns Donald Trump – und die Panik, die uns befallen hat, seit wir ihn als Präsidenten beobachten. Vermutlich haben die allermeisten von uns in der Schule von Montesquieu gehört, zumindest von seinen Ideen aus dem achtzehnten Jahrhundert, vor allem von der Teilung der staatlichen Gewalt. Damit sie nicht in einer Hand ist. Weil man nicht sicher sein kann, dass sie in einer Hand gut aufgehoben ist. Weil man ziemlich sicher sein kann, dass sie in verschiedenen Händen insgesamt besser aufgehoben ist und besser für alle genutzt wird. Die gegenseitige Kontrolle der Gewalten. Checks and Balances. Um Machtmissbrauch, Amtsanmaßung, gemeinwohlschädliche Eigenwilligkeiten zu verhindern, zu stoppen, zu ahnden.
Ja, alles zum Gähnen oft gehört. Aber offenbar nicht wirklich verstanden. Denn was haben wir gedacht? Dass das Vorkehrungen sind gegen sympathische, bescheidene Menschen wie Angela Merkel oder Barack Obama? Gegen ihre versteckten dunklen Seiten, die irgendwann einmal durchbrechen mögen? Nein, zum Beispiel gegen jemanden wie Donald Trump hat Montesquieu diese Vorkehrungen entworfen. Aber offenbar vertrauen wir den Vorkehrungen gar nicht. Wir gehen offenbar längst wieder davon aus, wovon wir nach Montesquieu eben nicht ausgehen können: selbstverständlich vernünftige, wohlwollende, maßvolle, sich selbst Grenzen setzende Menschen an den Spitzen des Staates. Und wenn da einmal ein anderer Charakter erscheint, fühlen wir uns ausgeliefert und wirken, als wenn wir Hilfe im Grunde nur von kollektiver Empörung erwarten. Dabei gilt auch hier: Gott sei Dank ist unsere Gesellschaft auf die individuelle Moral und Vortrefflichkeit eines jeden und jederzeit nicht existentiell angewiesen - auch an der Spitze nicht. Gesetze reichen.
Echte politische Lebensversicherungen
Donald Trump ist für vieles gut. Er ist die Gefahr, die schon das Rettende wachsen lässt - und zwar in den Vereinigten Staaten selbst, in die das Rettende in diesem Fall auch hingehört. In Berlin nützt es nicht viel. Amerikanische Qualitätszeitungen gewinnen Abonnenten. Bisher vielleicht zu vornehm sich zurückhaltende Teile der Gesellschaft geraten politisch in Bewegung. Richter fallen dem Präsidenten in den Arm, wie es sich gehört. Die Administration zeigt Selbstbewusstsein und Eigenwillen. Parlamentshäuser werden es tun. Parteifreunde tun es bereits. Wir sehen eine alteuropäische Verfassung nach Montesquieu, Locke und Kant an der Arbeit.
Wir verstehen vielleicht erst jetzt, was wir in der Schule gelernt haben. Unsere Verfassungen sind keine Vorrichtungen gegen harmlose, zurückhaltende Menschen wie du und ich. Unsere Verfassungen sind keine Schönwettertexte. Es sind echte politische Lebensversicherungen. Es ist gar nicht schlecht, dass wir ihnen einmal bei der Arbeit zusehen. Dann wissen wir besser, worauf genau wir stolz sein können. Das Zeitalter des Verfassungspatriotismus könnte erst jetzt anbrechen - wenn die Verfassung einmal vorgeführt hat, wozu sie gut ist. Dolf Sternberger, sein oft missverstandener Erfinder, mag sich zufrieden im Grabe herumdrehen.