Sie müssten Erasmus nachträglich verbiegen
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Beim AfD-Parteitag steht auch eine parteinahe Stiftung auf der Tagesordnung. Sie könnte den Namen von Erasmus tragen. Warum die Wahl unpassend wäre. Ein Gastbeitrag.
Seit einiger Zeit gibt es in Deutschland eine Desiderius-Erasmus-Stiftung. Vorsitzende ist zurzeit die ehemalige CDU-Abgeordnete und Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach. Auf der Website der Stiftung wird festgehalten, dass diese neue politische Stiftung Deutschlands „ideell“ der Partei Alternative für Deutschland nahesteht (AfD). Sie hat auch ein Kuratorium. Dem gehört unter anderen der Historiker Lothar Höbelt an, bekannt für seinen verständnisvollen Umgang mit Problemen der Holocaustleugnung, die er als eine „historische Diskussion“ gedeutet hat. Es gibt auch eine Gustav-Stresemann-Stiftung, deren Stiftungsverein ebenfalls eng mit der AfD verbunden ist. Enkel des einstigen Reichskanzlers wollen nun diesem Stiftungsverein verbieten, den Namen des Großvaters zu benutzen, und haben Klage bei Gericht eingereicht.
Der unverheiratete römisch-katholische Priester Desiderius Erasmus von Rotterdam (circa 1466 bis 1536) hat keine Nachfahren, jedenfalls keine leiblichen, die klagen könnten. Es gibt jedoch genügend Gründe, dem Gebrauch seines Namens durch diese politische Stiftung entgegenzutreten – Gründe, die im Leben und Werk des großen Humanisten selbst zu finden sind. Heute haben die meisten Menschen zwar eine gewisse Vorstellung von ihm, selten aber ein deutliches Bild. Dies ist sicher der Vielfalt seiner Themen, der Unterschiedlichkeit der von ihm genutzten Kommunikationsmittel, dem gewaltigen Umfang seiner Schriften und dem Abstand zwischen der Frühen Neuzeit und unserer Zeit zuzuschreiben. Die Desiderius-Erasmus-Stiftung präsentiert ihn als „Vordenker des europäischen Humanismus, Anwalt des freien Wortes, Vorkämpfer der Toleranz, und Gegner der Dogmatik“. Wie diese Kurzformel sich zu den Ansichten der AfD verhält, bleibt dahingestellt.
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