
Verschwörungstheorien : „Vögel gibt es nicht“
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Großer Auftritt 1963 in Hitchcocks „Die Vögel“: Tippi Hedren mit Drohne Bild: Picture Alliance / United Archives / IFTN
In den USA verbreitet sich eine Theorie, wonach es sich bei Vögeln um Drohnen handelt. An der Parodie ist nur die Absicht gut.
Vögel gibt’s gar nicht. Die Viecher, die auf Ästen und Dachrinnen sitzen, sind Überwachungsdrohnen. Das glaubt niemand? Aber behauptet wird es, als Parole: „birds aren’t real“. Den Satz verbreitet in sozialen Medien, als T-Shirt, Tätowierung und inzwischen auch auf großformatigen Plakatwänden in Pittsburgh, Memphis und Los Angeles eine „Bewegung“, die es noch viel weniger gibt als Vögel. Vor vier Jahren, als die Kampagne begann, hätte ein deutsches Urgroßvaterwort wie „Studentenulk“ oder „Abistreich“ gut drauf gepasst; zwei der Urheber, Peter McIndoe und Connor Gaydos, gehören zum Bevölkerungssegment der halbwegs medienkompetenten Jungerwachsenen („Generation Z“ beziehungsweise „Post-Millennials“).
Inzwischen ist selbst die New York Times auf die organisierte Vogelleugnung aufmerksam geworden, die in Wirklichkeit Verschwörungstheorien zwischen QAnon, Pizzagate und Seelenraub durch Bill Gates verspotten will. Der Versuch, die diffuse Meme-Mob-Mentalitätskrake, in deren starkem Griff derzeit so mancher Verstand verröchelt, mit derartigen Mitteln anzugreifen, verspricht allerdings nicht mehr Erfolg als der Ansatz, wildes Gebrüll aus zehntausend Kehlen in einem vollen Fußballstadion mit dem aus Kindermund gepiepsten Hans-Christian-Andersen-Märchenzitat „Aber er hat ja gar nichts an!“ zu zähmen.
Denn nicht der Unsinn irgendeiner Einzelaussage („es gibt keine Vögel“, „Queen Elizabeth II. ist ein Reptil“) macht Kraft und Horror der gegenwärtigen Verschwörungsmassenspinnerei aus, sondern der Umstand, dass Behauptungen darin sowieso nur als Munition für weltanschauliche Steinschleuderschlachten vorkommen – nicht, was sie bedeuten, sondern ob sie sich im Sinne des allmählich zur allgemeinen Debattenlage universalisierten Twitter-Geschäftsmodells für die Hysterisierung nutzen lassen, ist der Punkt.
Man könnte statt um die Sprechblase „Vögel gibt es nicht“ auch um eine inhaltsleere, sachlich aber irgendwie richtige, als Information völlig sinnlose Äußerung ein paranoides Gekreisch entfesseln, zum Beispiel um das Statement: „Eine kaum bekannte statistische Studie belegt, dass der Anteil der Geimpften unter den Ungeimpften seit Monaten konstant bei null Prozent liegt.“ Sowohl Leute, die sich auf gar keinen Fall gegen was auch immer impfen lassen wollen, wie ihre schlimmsten Feindinnen und Feinde könnten, wenn jemand nur einen ausreichend einladenden „Thread“ mit der genannten Feststellung eröffnet, einander im Anschluss daran sofort unter Feuer nehmen.
Die rührende Idee, man müsse Meinungen haben, um sie brüllen zu können, ist überholt. Das Gebrüll und die Erregung selbst sind schon die ganze Meinung, und weil Satire naturgemäß leiser ist als jedes derartige Gebrüll, ist sie inzwischen leider in höherem Maß als alle robotischen Scheinvögel, chinesischen Hypnosenudeln oder russischen Zeitumkehrstrahlen „not real“.