Prozess um Straßenfotografie : Eben noch auf der Straße, jetzt in der Kunstgalerie
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Spaziergänger auf der Oranienstraße in Berlin: Wem gehören diese Rücken? Bild: Picture-Alliance
Wen und was darf man in der Öffentlichkeit fotografieren und dann auch noch ausstellen? Das Verfassungsgericht hat die Legalität der Straßenfotografie untermauert – und gleich eine neue Grauzone eröffnet.
Die Straßenfotografie operiert in Deutschland, im Gegensatz zu Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, in einer rechtlich etwas schwammigen Grauzone. Zu spüren bekam das der Fotograf Espen Eichhöfer: Er hatte im Jahr 2013 im Rahmen der Ausstellung „Ostkreuz. Westwärts – Neue Sicht auf Charlottenburg“ einige seiner Fotografien, die auf den Straßen Charlottenburgs entstanden sind, vor dem Gebäude der Ausstellungshalle C/O Berlin auf Stelen drucken lassen und dort im öffentlichen Raum ausgestellt. Eine Szene zeigte eine Frau in einem auffälligen Schlangenkleid, das Foto war 120 mal 140 Zentimeter groß und direkt an einer vielbefahrenen Straße mitten in Berlin aufgestellt. Diese Frau erkannte sich auf dem Bild wieder, sah sich in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt und forderte einerseits Unterlassung, andererseits eine Geldsumme, und machte das Recht am eigenen Bild dafür geltend.
Die meisten Entscheidungen, die es zum Recht am eigenen Bild gibt, beziehen sich auf die Pressefotografie, es geht um Boulevard, Paparazzi und Zeitgeschehen. Zuständig ist dafür eigentlich das Kunsturheberrechtsgesetz, kurz KunstUrhG, das 1907 in Kraft getreten ist. Geschaffen wurde es nach dem wohl größten Presseskandal des Deutschen Reiches, als sich 1898 zwei Fotografen Zugang zum Sterbezimmer des Reichskanzlers Bismarck verschafften und ihn auf seinem Totenbett ablichteten. Aber um Skandale geht es bei Straßenfotografie gerade nicht, sondern um normale Menschen in Alltagssituationen. Außerdem handelt es sich nicht um Auftragsarbeiten für ein Medium, sondern um freie, anlasslose Kunst. Nun muss die Kunstfreiheit aber immer wieder gegen das Recht am eigenen Bild abgewogen werden, das die abgebildeten Personen für sich geltend machen können.
Die ungeschönte Realität einfangen
Espen Eichhöfer beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Er unterzeichnete zwar die Unterlassungserklärung, die die konkrete Ausstellung am C/O Berlin betraf, alles Weitere wollte er jedoch vor Gericht durchfechten. Das Geld dafür sammelte er mittels Crowdfunding. Nun wurde sein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht abgelehnt – schade, dennoch ein Gewinn für die Straßenfotografie, denn das Verfassungsgericht begründete seine Entscheidung, was es bei Ablehnung normalerweise nicht tut. Und diese Begründung enthält einige wertvolle Hinweise für Straßenfotografen.
Eichhöfers Anwalt Sebastian Graalfs sieht in dem Ergebnis immerhin einen Teilerfolg. „Grundsätzlich ist das für diese Kunstform eine gute Nachricht, weil man sich auf diesen Beschluss berufen kann.“ Das Verfassungsgericht stellt nämlich fest, dass „die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung“ für die Straßenfotografie „strukturtypisch“ sei. Und begründet weiter: „Es ist gerade Ziel der Straßenfotografie, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts und der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck kommt.“ Damit ist das Foto als Kunstwerk definiert und darf sich grundsätzlich einmal auf die Kunstfreiheit berufen, es darf angefertigt, ausgestellt und auch außerhalb von Museen und Galerien gezeigt werden.