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Urheberrechtsdebatte : Wir müssen über Geld reden

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Bei Kunst denken wir immer noch an Spitzwegs „Armen Poeten“ und nicht an Lady Gaga. Was alles falsch läuft in der Urheberrechtsdebatte - ein Erfahrungsbericht.

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          Manchmal treffe ich, obwohl meine Tätigkeit eine einsame ist, auf Menschen, die ich zuvor nicht kannte. Offenbare ich, dass ich schreibe, dann fragen sie, und zwar ohne Ausnahme: „Kannst du davon leben?“ Ich entgegne dann, und zwar ohne Ausnahme, dass ich ja durch meine bloße Existenz diese Frage schon beantworte, aber die Leute sagen: „Vielleicht hast du ja geerbt oder lebst von Sozialhilfe.“

          Tatsächlich lebe ich mit Ausnahme der ersten paar Monate vom Schreiben. Angefangen habe ich im Internet, zur WM 2006 hat ein Freund ein Blog aufgesetzt und mich dazugeholt. Das Blog war mit „Spreeblick“ verbunden, einem der damals größten deutschen Blogs, und so hatten wir am ersten Tag 6000 Leser. Nach einer Woche merkten die ersten Kommentatoren an, dass wir früher besser gewesen seien, und so publizierten wir rund um die Uhr, wir schrieben wie im Rausch.

          Johnny und Tanja Haeusler, die Macher von „Spreeblick“, bemühten sich, Sponsoren zu bekommen, aber niemand war interessiert. So war ich also Hobbyschreiber mit ein paar tausend Lesern. Unsere Texte standen unter einer sogenannten Creative Commons Licence, jeder konnte sie kopieren, wenn er dabei auf uns verwies. Als die WM vorbei war, schrieb ich die ersten Artikel auf „Spreeblick“, das sich damals zu einem Mehrautorenblog entwickelte.

          Wovon lebt eigentlich Lady Gaga?

          Hauptberuflich war ich damals ewiger Student und hatte tatsächlich geerbt. Ohne den Tod meiner Eltern wäre ich jetzt vermutlich Call-Center-Agent. Die Texte für „Spreeblick“ schrieb ich also, ohne Geld dafür zu bekommen, und auch diese Texte veröffentlichten wir unter Creative Commons. Einmal machte ein Rapper aus einem Text von mir ein Stück, das war eine riesige Freude. Ansonsten wurden meine Texte von den Lesern eher passiv erlebt. Creative Commons soll eigentlich ein unendliches Sampeln und Verändern ermöglichen, die Kultur einer dynamischen Metamorphose unterwerfen, aber meistens wollen die Leute einfach bloß konsumieren.

          Das kreative Potential der Gesamtbevölkerung wird gern überschätzt. Natürlich entstehen wunderbare Werke aller Art im Internet, von Amateuren geschaffen, Videofilme, Gedichte, Bilder. Aber Youtube, dereinst angetreten, um jedem Menschen seinen eigenen Fernsehsender zu verschaffen, zeigt die Richtung an: Bei allem Wunderbaren, das Amateure hervorbringen - die Leute schauen am liebsten die Profis: Fast eine halbe Milliarde Mal wurde Lady Gagas „Bad Romance“ auf Youtube geklickt. Der größte Popstar der Welt steht an der Spitze: Das Internet stellt die Welt nicht auf den Kopf, es bildet sie ab.

          In Deutschland ist das meistgeklickte Video der Welt nicht zu sehen, weil sich Gema und Youtube nicht geeinigt haben, wie viel Geld die Schöpfer der konsumierten Werke von Youtube, das zu Google, dem reichsten Internetkonzern der Erde, gehört, bekommen sollen. Der durchschnittliche deutsche Musiker verdiente im Jahr 2011 der Künstlersozialkasse zufolge 11 700 Euro. Da fragt man sich: Wovon lebt eigentlich Lady Gaga? Die verdiente 2011 68 Millionen Euro. Wie macht die das? Ihre Videos werden auf Youtube geschaut, jeder einzelne Song von ihr kann auf jedem One-Click-Filehoster, in jeder Torrenttauschbörse heruntergeladen werden - warum verdient sie so deutlich mehr als 11 700 Euro? Natürlich, die Masse macht’s. Es gilt das Matthäusprinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Unter Millionen Enthusiasten finden sich genügend, die freudig das Lady-Gaga-Buch, das Lady-Gaga-T-Shirt oder das Lady-Gaga-Fleischstückchen-Perpetuum-mobile kaufen.

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