Urheberrechtsdebatte : Lehrbücher sind der Frau Ministerin unbekannt
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Bücher braucht der Unterricht. Die Frage ist, zu welchem Preis. Bild: dpa
Produktpiraterie? Halb so schlimm. Das Bildungsministerium stützt sich im Urheberrecht auf ein dürftiges Gutachten. Und folgt damit dem blinden Urteil von Lobbyisten.
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Reform des Urheberrechts angekündigt. Zu ihr gehört die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke: Texte, die dem Unterricht und der Forschung dienen, sollen frei kopierbar sein. Im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF) ist nun ein Gutachten des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie erschienen, das die ökonomischen Folgen einer solchen Schranke untersucht. Herausgeber ist der Wettbewerbsökonom Justus Haucap, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf. Die 140 Seiten lange Studie versucht durch die Befragung von 303 wissenschaftlichen Bibliotheken und 133 Stadtbibliotheken zu belegen, dass die geltenden Regelungen für die meisten Bibliotheken „nur schwer handhabbar“ sind.
Das Urheberrecht steht in einem Spannungsverhältnis zum öffentlichen Bildungsauftrag. Einerseits soll es die Verfügbarkeit geschützter Werke im Unterricht erhöhen und Wissensmonopole verhindern. Andererseits soll es den legitimen Verwertungsinteressen der Autoren und Verlage Rechnung tragen. Haucaps Studie kümmert sich erst gar nicht um diese doppelte Aufgabe. Beim Wort genommen, läuft sie auf eine Abschaffung des Urheberrechts hinaus. „Aus einer reinen Expost-Betrachtung heraus wäre es immer effizient, kein Recht am geistigen Eigentum zu gewähren“, schreiben die Autoren. Die Verbreitung von Informationen, heißt es weiter, wäre dann „zumeist grenzkostenlos möglich“. Da durch zusätzliche Nutzer keine weiteren Kosten entstünden, wäre „ein freier, unentgeltlicher Zugang ex post auch wohlfahrtsoptimal“.
„Eine Katastrophe“
Zwar heißt es in der Studie selbst, dass dadurch Innovationsanreize, also wichtige Motive, Bücher zu schreiben und zu verlegen, weitgehend zerstört würden. Die Autoren kümmert das jedoch nicht weiter. Der Grundton für die weitere Exegese ist gesetzt: Auf Verlage und Autoren ist bei dem anstehenden Gesetz keine Rücksicht zu nehmen. Denn auch wenn sie ihre Werke kostenlos zur Verfügung stellen müssten, nähmen sie keinen Schaden, weil sie, wie es weiter heißt, „ihre Marktmacht dazu nutzen werden, Absatzverluste . . . durch Preiserhöhungen . . . zu kompensieren“.
Sollen die Verlage also ausnahmslos dem Beispiel des Berliner Wissenschaftsverlags de Gruyter folgen und Lehrbücher für dreihundert Euro und mehr zu veräußern versuchen? Solche Preise könnten freilich nur Bibliotheken bezahlen. In Buchhandlungen würde kein wissenschaftliches Buch mehr verkauft. Nicht nur wegen des hohen Preises, sondern weil es für Wissenschaftsverlage, die vom Buchhandel abgeschnitten wären, kaum noch eine Zukunft gäbe.
„Die geisteswissenschaftlichen Verlage können ihre Bücher nicht beliebig verteuern“, sagt der Verleger Vittorio Klostermann im Gespräch mit dieser Zeitung. „Sie müssen vielmehr schauen, wie sie durch günstige Preise über den mageren Universitätsbereich hinaus Käufer und Leser finden. Sollte nun die ,allgemeine Wissenschaftsschranke‘ kommen, die alle Autoren, die im Hauptberuf ihr Gehalt vom Staat bekommen, zur Publikation im ,Open Access‘ verpflichtet, wäre das für uns eine Katastrophe.“ Auch Johannes Rux, Programmleiter Wissenschaft beim Nomos-Verlag, hält die These, dass Verleger die erwartbaren Verluste durch Preiserhöhungen ausgleichen könnten, für „nicht zutreffend“.