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Aus dem Maschinenraum : Die neuen Hilfssheriffs des Internets

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"Two-Strikes": Mit einem Klick zum Internetanbieter - und der soll als Netz-Polizei tätig werden?

"Two-Strikes": Mit einem Klick zum Internetanbieter - und der soll als Netz-Polizei tätig werden? Bild: dpa

Deutsche Künstler und Intellektuelle wehren sich gegen die Aufweichung des Urheberrechts. Von der anderen Seite betrachtet allerdings, zeigt sich, wie leicht der User kriminalisiert werden kann.

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          Die Debatte um die Zukunft der Vergütung von Künstlern und Kreativen im Internet ist in den letzten Wochen dramatisch eskaliert. Aufgeschreckt von radikalen Thesen zur generellen Abschaffung des Urheberrechts, die aus dem Umfeld der Piraten und von den unvermeidlichen Social-Media-Berufsprovokateuren ventiliert wurden, versorgen Kulturschaffende die deutsche Medienlandschaft mit einer Fülle an Beiträgen, die partiell wie Kriegserklärungen anmuteten. Liest man die Streitschriften am Stück, scheint der Untergang des kulturellen Abendlandes unmittelbar vor der Tür zu stehen, die geistige Leistung des Künstlers nichts mehr wert zu sein. Das Hochkochen der Diskussion wird dabei befeuert von Missverständnissen und Fehleinschätzungen.

          Eine dieser Fehleinschätzungen ist die vorgebliche Harmlosigkeit der sogenannten Three- oder Two-Strikes-Modelle. In Frankreich gibt es das sogenannte Three-Strikes-Modell, nach dem zunächst verwarnt, dann der Internetanschluss gekappt wird. Dort konnte durch das „Hadopi“ genannte drastische Warnmodell mit Internetverbannung tatsächlich ein Rückgang des Filesharens festgestellt werden, gleichzeitig allerdings ein ebenso großer Rückgang bei den verkauften Inhalten durch einen schleichenden, aber umfangreichen Boykott kommerziell vertriebener Werke. Der neue Präsident François Hollande versprach im Wahlkampf, das umstrittene Hadopi-Gesetz durch eine Neuregelung zu ersetzen. Er mochte sich nur nicht festlegen, wie diese aussehen würde.

          Demokratie wäre Makulatur

          In Deutschland wäre „Three Strikes“ klar grundgesetzwidrig. Das Recht auf Teilhabe an der digitalen Kommunikation ist so grundlegend, dass seine Verweigerung dem Entzug gleich mehrerer Grundrechte gleichkäme. Daher versucht nun eine heimliche große Koalition, angefeuert von der Inhalteindustrie und neuerdings auch den Kulturschaffenden, ein anderes Warnmodell, auch „Two-Strikes“ genannt, durchzusetzen.

          Dieses „Warnmodell“ setzt bei den Internetanbietern an, die Hilfsdienste leisten sollen. Auf die Idee, den Autobauer für die Fahrgewohnheiten seiner Käufer haftbar zu machen, würde zwar niemand kommen. Im Internet soll das aber nach der Logik der zukünftigen großen Stabilitätskoalition anders sein. Das Warnmodell würde die Provider zwingen, ihre Kunden flächendeckend zu überwachen, Filter einzubauen und diejenigen Kunden mahnend anzuschreiben, die sich anschicken, urheberrechtlich geschützte Dateien zu tauschen.

          Die dabei anfallenden Daten ließen sich nur schwerlich vor dem Zugriff der Abmahnanwälte schützen. Denn was nach der zweiten „Warnung“ passieren würde, ist absehbar: Abmahnungen, Klagen, Prozesse. Und genau darum geht es beim „Warnmodell“: Es sind Pläne zur Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Sind die Internetanbieter erst einmal zum Hilfssheriff degradiert, gibt es keine nennenswerten Hürden mehr, sie auch zur automatischen Datenweiterleitung an die Verwerteranwälte zu zwingen. Technisch ist dies durchaus möglich, allerdings nur, wenn man eine Überwachungsinfrastruktur akzeptiert, die unverträglich mit demokratischen Grundwerten ist. Denn fällt diese Technik in die Hände einer Regierung, die Meinungsfreiheit als optional ansieht - angesichts der Erfolge der extremen Rechten in Ungarn oder Griechenland keine unrealistische Annahme -, ist die Demokratie schnell Makulatur.

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