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Humboldt-Forum öffnet digital : Unser Kolosseum

Nackte Funktionalität und preußische Portale: Die Nord-Süd-Passage im Humboldt-Forum Bild: dpa

Viele gute Ideen blieben beim Bau des Humboldt-Forums auf der Strecke. Bei der digitalen Eröffnung am Mittwoch gibt es nur einen Vorgeschmack auf das, was im kommenden Jahr zu sehen sein wird.

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          Wäre das Humboldt-Forum ein Schlachtfeld, könnte man jetzt, anlässlich seiner Eröffnung, eine Gefallenenliste veröffentlichen. Sie enthielte die Namen all derer, die mit ihren Ideen zu dem Projekt an den Widerständen der beteiligten Institutionen gescheitert sind. Ganz oben stünden der Schweizer Kurator Martin Heller, der aus der überdachten Eingangshalle eine „Agora“, ein Schaufenster auf die Attraktionen des Gebäudes machen wollte; der deutsche Kunsthistoriker Horst Bredekamp, der davon träumte, die Wunderkammer der preußischen Kurfürsten im rekonstruierten Berliner Schloss wiederzuerwecken; und der britische Museumsdirektor Neil MacGregor, der vorschlug, das gesamte Haus mit allen Sammlungen und Ausstellungen einem Intendanten zu unterstellen. Wenn man allein diese drei Konzepte zusammenzählt, bekommt man eine Vorstellung davon, was das Humboldt-Forum auch hätte sein können – und nicht geworden ist. Oder fast nicht.

          Andreas Kilb
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

          Denn natürlich gibt es in dem Gebäude, das morgen mit einer digitalen Begehung ohne Publikum eröffnet wird, ein bisschen Agora und ein bisschen Wunderkammer, und es gibt auch einen Intendanten, den ehemaligen Schlösserstiftungs-Direktor Hartmut Dorgerloh, der die Beschränkungen seines Amtes mit erfrischender Deutlichkeit beim Namen nennt. An Dorgerloh liegt es jedenfalls nicht, wenn die drei im Humboldt-Forum vertretenen Einrichtungen – die Staatlichen Museen zu Berlin, die Stiftung Stadtmuseum und die Humboldt-Universität – ihr je eigenes Süppchen kochen, ohne augenfällige Verweise aufeinander, und wenn der Eosanderhof im Westteil, Hellers Agora, so nackt und freudlos wirkt wie eine frisch sanierte und entkernte Turbinenhalle.

          Eingang in eine Widerspruchszone: Das Hauptportal des Humboldt-Forums. Bilderstrecke
          Humboldt-Forum in Bildern : Viel Leere hinter den Fassaden

          Nach fast zwei Jahrzehnten Planungs- und Bauphase ist es Zeit, die Verluste des Projekts zu bilanzieren. Die Gemäldegalerie und das Kunstgewerbemuseum werden nicht ins Humboldt-Forum einziehen, und auch das Museum Europäischer Kulturen bleibt gegen alle Logik eines Weltkulturenmuseums an den Stadtrand verbannt. Die Chance, mit dem Weißen Saal des Kaiserreichs einen wichtigen Gedenkort der jüngeren deutschen Geschichte zu rekonstruieren, wurde durch die Innenbauten im Nordwestflügel – darunter fensterlose Funktionsräume im Schuhschachtelformat – endgültig vertan. Aber auch das Ethnologische und das Asiatische Museum, um die das ursprüngliche Konzepts des Forums herumgebaut war, haben im Planungsprozess an Bedeutung verloren. Aus der räumlichen und gedanklichen Mitte sind sie ins zweite und dritte Obergeschoss des vierstöckigen Gebäudes gerückt, in eine Zone, die der Besuchern erst im zweiten Anlauf erreicht (und die auch erst im Sommer und Spätherbst kommenden Jahres erreichbar sein wird).

          Die Museen als solche stehen in Frage

          Im ersten Stock, dem Piano nobile, residieren stattdessen das „Humboldt-Labor“ der Universität und die „Welt. Stadt. Berlin“-Schau des Stadtmuseums, zwei Ausstellungen, die sich, nach ihren Ankündigungen auf der Website der Stiftung Humboldt Forum zu schließen, fast ausschließlich auf digitale Installationen und nur ausnahmsweise auf reale Objekte stützen. Damit ist die ursprüngliche Idee des Humboldt-Forums in ihr Gegenteil verkehrt: Nicht die Weltkulturen, sondern regionale und akademische Perspektiven werden in der Schlosshülle die privilegierten Plätze besetzen. Die sogenannte Humboldt-Akademie, ein geisterhaftes, noch unausgegorenes museumspädagogisches Projekt, das zwischen den verschiedenen Einrichtungen vermitteln soll, kann diese prinzipielle Schieflage nicht ausgleichen.

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