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Ukraine-Konflikt : Warum demonstriert niemand gegen Putin?

Demonstration in München gegen die Sicherheitskonferenz, am 19. Februar Bild: dpa

Diese Jugend protestiert gegen alles Mögliche. Massenaufmärsche gegen Wladimir Putin bleiben aber aus. Es wäre auch eine Zeitverschwendung.

          2 Min.

          Die deutsche Jugend ist total verrückt geworden – zumindest jener Teil von ihr, der sich für Politik und die Umwelt interessiert und bereit ist, die eigenen Forderungen in die Öffentlichkeit hineinzurufen. Oder wie wäre es sonst zu erklären, dass diese Jugend nichts Besseres zu tun hat, als Brücken und Autobahnen zu blockieren, um gegen weggeworfene Lebensmittel zu protestieren. Während zur selben Zeit der russische Präsident das Völkerrecht bricht, die Grenzen in Europa neu zieht und seine Armee in die Ukraine einmarschieren lässt, wogegen zu demonstrieren aber niemand für nötig hält.

          Claudius Seidl
          Redakteur im Feuilleton.

          Das war, nur leicht zugespitzt, die Kritik der Jugend, wie sie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Dienstagmorgen im Radio artikulierte. Und weil sich am vergangenen Wochenende tatsächlich ein paar Spinner zusammenfanden und am Brandenburger Tor und in der Münchner Innenstadt den Westen, die NATO und den Kapitalismus für die Krise an den Grenzen der Ukraine verantwortlich machten, konnte man auch in Zeitungskommentaren lesen, dass die deutsche Friedensbewegung feige und opportunistisch sei, ein Haufen von verblendeten Linken, die in der kleinsten Verfehlung der Amerikaner ein Menschheitsverbrechen sehen. Wogegen sie vor der Wahrheit über Putin die Augen verschließen.

          Daran ist richtig, dass die Schuldzuweisungen an die NATO und den Westen falsch waren. Immerhin haben aber diese Demonstranten den Sinn, die kommunikative Struktur einer Demonstration, besser als ihre Kritiker begriffen: Im Bayerischen Hof und in der amerikanischen Botschaft saßen die Leute, gegen die der Protest sich richtete; sie konnten also zumindest darauf hoffen, dass ihr Protest zur Kenntnis genommen würde.

          Die Mehrheit der Indifferenten erschrecken

          An wen würde sich aber die Botschaft richten, wenn Zehntausende auf deutschen Straßen gegen die russische Politik demonstrierten? Wladimir Putin hat am Montagabend vorgeführt, dass er weitaus größere Teile der Wirklichkeit ausblenden, ignorieren oder in ihr Gegenteil umdeuten kann. Die Nachricht von Protesten in Deutschland würde ihn gar nicht erreichen.

          Es blieben als Adressaten nur die Putin-Sympathisanten in der AfD und der Linkspartei sowie Putin-Relativierer vom Schlag Manuela Schwesigs oder Matthias Platzecks, denen man mit großen Aufmärschen und Massenprotesten noch einmal klarmachen könnte, wie falsch sie liegen. Allerdings geschieht das schon in jeder zweiten Talkshow, in jedem dritten Leitartikel – gegen Sahra Wagenknecht muss man nicht demons­trieren; sich ins Unrecht zu setzen schafft niemand so gut wie sie selbst.

          Wenn die Massen für das, was ohnehin die herrschende und offizielle Meinung ist, auf die Straßen gehen, dann fühlt man sich bloß an Iran erinnert, wo es die Herrschenden schon nötig haben werden, den Einklang mit den Massen zu zelebrieren. In der liberalen Demokratie wäre es redundant und eine Zeitverschwendung, die Zustimmung zur Politik der Regierung laut zu demonstrieren. „Russki go home“ stand auf einem Luftballon in Billy Wilders Komödie „Eins, zwei, drei“ – und wenn die Erinnerung nicht trügt, platzte der Ballon, ohne dass ein Rotarmist beeindruckt gewesen wäre.

          Die Aktivisten der „Letzten Generation“ dagegen sind als junge Menschen schon demographisch in der Minderheit gegenüber den Alten, denen die schlimmsten Folgen des Klimawandels erspart bleiben werden. Wenn sie Gesetze brechen, werden sie sich dafür verantworten müssen. Aber dass sie, mit relativ drastischen Methoden, die Mehrheit der Indifferenten erschrecken wollen, schon weil, bis sie die entscheidenden Machtpositionen erreicht haben, es vermutlich zu spät sein wird: Das ist der Grund, weshalb Demonstrationen erfunden worden sind.

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