Römerberg-Gespräche : Freunde sind wir nicht, nur Kumpels
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Ein Bild des amerikanischen Präsidenten mit abgehörtem Handy am Ohr? Undenkbar! Barack Obama im Wahlkampf 2008 Bild: AP
Die Frankfurter Römerberg-Gespräche hatten Rückenwind durch Aktualität: Es ging um Europa und Amerika, die „transatlantische Entfremdung“. Nicht alle wussten die Steilvorlage zu nutzen.
Wenn eine etablierte Bürgerveranstaltung wie die Frankfurter Römerberggespräche mit ihrem lange vorgeplanten Debattenthema „Wer hat Angst vor Uncle Sam? Die transatlantische Entfremdung“ von der Nachrichtenlage Rückenwind erhält, können sich die Beteiligten freuen. Es steigt die Aufmerksamkeit, aber auch der Erwartungsdruck. Die Metadatenerheber der Geheimdienste jedenfalls konnten am Samstag zwischen 10 und 18 Uhr eine verdächtige Konzentration von Mobiltelefonen im Chagallsaal des Schauspiels Frankfurt verzeichnen, die sich im Besitz von amerikaversierten Wissenschaftlern und Journalisten befinden.
Dass das nur wenige Kilometer entfernte amerikanische Generalkonsulat möglicherweise eine Spionagezelle beherbergt hat (diplomatische Vergangenheitsform), was erst im Lauf des Tages aufgedeckt werden würde, hätte der Diskussionsveranstaltung sogar noch mehr Dringlichkeit verleihen können. Aber die Vorträge ließen allzu oft Zuspitzungen auf der Höhe der Zeit vermissen.
Das wäre eine Frage der Stunde gewesen
Der Historiker Dan Diner zum Beispiel hob in seinem instruktiven Vortrag die unterschätzte Fremdheit Amerikas hervor. Im Sinne Hegels stellte er den atlantischen Nachbarn als „bürgerliche Gesellschaft ohne Staat“ dar, als Vorstellung, die mehr Zeit als Ort und daher in besonderer Weise der Globalisierungsidee verwandt sei. Diner bezeichnete Amerika als „Geländer“ für die europäische Einigung nationalstaatlicher Verschiedenheit und zitierte mit verdeckter Ironie die Rede vom Datenschutz als „Unabhängigkeitserklärung Europas“ (Viviane Reding). Er ließ aber offen, wie die derzeitigen diplomatischen Verwerfungen zu lösen seien. Auf Nachfrage des Moderators Alf Mentzer erklärte er sich „für das Praktische nicht zuständig“, was dem Geist einer Bürgerveranstaltung, bei der auch Wissenschaftler sich als politische Wesen einmischen sollen, im Kern widersprach.
Auch die Zürcher Anglistin Elisabeth Bronfen, die in Kürze ein Buch über „Hollywoods Kriege“ veröffentlichen wird, blieb in ihrem Vortrag über die unkritische Bejahung amerikanischer Serien in der deutschen Öffentlichkeit naheliegende Schlussfolgerungen schuldig. Sie widmete sich ausführlich der Drogenkriegsserie „The Wire“, verblieb aber nur kurz bei der wieder hochaktuell gewordenen Fernsehproduktion „Homeland“, in welcher der paranoide Antiterrorkampf Amerikas mit all seinen Tücken dargestellt wird. Die Frage, was es bedeutet, dass Obama „Homeland“ als seine Lieblingsserie bezeichnet hatte, wäre eine Frage der Stunde gewesen.
Ein fast unentwirrbares Geflecht von Einschränkungen
So war es höchst erfrischend, dass der Hannoveraner Europa- und Völkerrechtler Ulrich Haltern, der 2009 ein Buch über „Obamas politischen Körper“ vorgelegt hatte, nun über „Rechtsstaatlichkeit und rechtsfreie Räume im transatlantischen Vergleich“ eingangs feststellte, sein Amerika-Bild unterscheide sich fundamental von dem seiner Vorredner. Das von Dan Diner beschworene stamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, und der Durchschnittsamerikaner werde eher durch Harrison-Ford-Filme als durch HBO-Serien erfasst. Mit großer Geste stellte er die Loyalität gegenüber der Verfassung und ihren Vätern als geradezu religiöses Beglaubigungskriterium amerikanischer Politik dar. Dass solch ein familiäres Politikverständnis mit dem Abhören befreundeter Nationen und Politiker durchaus kompatibel ist, wurde dabei deutlich: „Wir sind keine Brüder Amerikas, wir sind allenfalls Kumpels“, sagte Haltern.