NSA-Spähaffäre : Der Elefant im Zimmer
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Hier sitzt das Geheimgericht: Mit Genehmigungen legitimiert der Foreign Intelligence Surveillance Court die Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten Bild: AP
Die amerikanischen Behörden reagieren defensiv auf das Misstrauen einer Öffentlichkeit, die über wesentliche Punkte der Überwachung weiter im Unklaren gelassen wird.
Debatte ist immer gut. Als „The Guardian“ am 6. Juni bekanntmachte, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Telefonverbindungsdaten aller Amerikaner speichern lässt, teilte Präsident Barack Obama noch am selben Tag mit, er freue sich auf eine lebhafte Debatte über die Abwägung zwischen der nationalen Sicherheit und den bürgerlichen Freiheiten. Sein Sprecher setzte hinzu, Obama habe seine eigenen Ideen, die er einbringen wolle.
Der „Guardian“ war nicht die erste Zeitung, die darüber berichtete, dass die National Security Agency (NSA) von den Telefongesellschaften die Übermittlung sämtlicher Verbindungsdaten verlangt - gestützt auf einen Paragraphen des Antiterrorgesetzes namens Patriot Act, der die Beschlagnahmung von Geschäftsunterlagen erlaubt, die für Ermittlungen gegen terroristische Organisationen von Bedeutung sind. Alle bisherigen Berichte waren von der Regierung dementiert worden. Der „Guardian“ veröffentlichte einen Beweis: einen Beschluss des Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC). Seit 2006 hat dieses Geheimgericht die Genehmigung zur Anforderung der Daten erteilt - jeweils nur für neunzig Tage. In den Akten stehen inzwischen 36 Anordnungen.
Legalität ungleich Legitimität
Die vom Präsidenten gewünschte Debatte, in der es von vornherein nur um die Feinabstimmung eines unvermeidlichen Tauschhandels von Freiheit gegen Sicherheit hätte gehen sollen, kam nicht recht in Gang; die Ideen, die der ehemalige Universitätslehrer für Verfassungsrecht im Hinterkopf hatte, wurden jedenfalls nicht abgerufen. Nachdem das Repräsentantenhaus der NSA die Sammlung der Telefondaten beinahe untersagt hätte, korrigierte sich Obama. Die Enthüllungen hätten dafür gesorgt, dass der Verweis auf die Legalität der Maßnahmen nicht mehr genüge, um ihre Legitimität einsichtig zu machen, sagte er am 9. August; das Volk wisse nicht genug. „Statt dass hier der Rüssel sichtbar wird, dort ein Bein und dort wieder der Schwanz, sollten wir den ganzen Elefanten zeigen, damit die Leute genau wissen, was sie sehen.“
Der Elefant im Zimmer: im Englischen ein Bild für die peinliche Tatsache, die jedermann bekannt ist und von niemandem angesprochen wird. Als Debattengegenstand ist ein solches Tier per definitionem ungeeignet. Mit der zoologischen Aufklärung beauftragte Obama die „Intelligence Community“, die alles dafür getan hatte, den Elefanten unsichtbar zu machen. In einer Anhörung des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses hatte der Vorsitzende im Juli den juristischen Chefberater des obersten Geheimdienstchefs gefragt: „Hielten Sie es für möglich, ein Programm zur Informationsbeschaffung in dieser Größenordnung, das auf die Mitwirkung von Angestellten der Telefonfirmen angewiesen ist, dem amerikanischen Volk auf unbegrenzte Zeit zu verheimlichen?“ Antwort: „Nun, wir haben es versucht.“
Einräumen, was nicht mehr zu leugnen ist
Inzwischen können die Bürger eine ganze Reihe von vormals geheimen Beschlüssen des Spezialgerichts lesen. 2009 rügte das Gericht massive Verletzungen der Bedingungen, unter denen die NSA die Kommunikationsdaten auswerten darf. Eine Debatte im Sinne eines offenen Schlagabtauschs wurde durch diese amtlichen Enthüllungen nicht befördert. Es ist offensichtlich, dass die Regierung auf die Serie der unautorisierten Veröffentlichungen des von Edward Snowden sichergestellten Materials reagiert und wie ein Großunternehmen in einer PR-Krise nur einräumt, was nicht mehr zu leugnen ist. Angehörige der „Geheimdienstgemeinschaft“ werden sich hüten, dem Publikum Debattenstoff zu liefern. Neben der akademischen Einladung des Präsidenten zum Debattieren steht seit Anfang Juni unwiderrufen die fachliche Einschätzung der zuständigen Amtsträger, Snowdens Geheimnisverrat habe verheerende Konsequenzen gehabt.