Überwachung : Das Armband der Neelie Kroes
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Ein Model präsentiert im Januar auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas Fitness-Armbänder Bild: dpa
Längst tobt die digitale Revolution. Doch unsere politischen Repräsentanten kämpfen nicht für Freiheit und Autonomie, sondern feiern noch die bedenklichsten Gadgets der Datenhändler. Höchste Zeit, sich dem Versuch einer Programmierung der Gesellschaft und des Denkens zu widersetzen.
Ein aktuelles Youtube-Video zeigt eine Ansprache von EU-Kommissarin Neelie Kroes, den Auftritt einer Politikerin, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar schien. Eine der mächtigsten Frauen Europas wendet sich dort an das Publikum im Stile der Neujahrsansprache, doch nicht, was sie sagt, ist elektrisierend, sondern was sie tut: Nach wenigen Sekunden ihrer Rede über „Gesundheit in der Brieftasche“ zeigt sie auf ihr Handgelenk, an dem sie eines der neuen elektronischen Armbänder trägt, die Bewegung, Fitness und andere körperliche Funktionen messen.
Fast ausschließlich spricht sie über die gewiss unbestreitbaren Vorteile eines solchen Armbands in Zeiten des demographischen Alterns und defekter Gesundheitssysteme. Geprägt von den einlullenden Incentive-Rhetoriken der Moderne, merkt der Zuschauer gar nicht mehr, dass die gesamte Ansprache technokratisch, nicht mehr politisch ist. Man kommt gar nicht auf den Gedanken, dass sich Politik nicht in der Beschreibung und Benutzung eines Steuerungssystems erschöpft – dafür gibt es Ingenieure –, sondern Fragen nach gesellschaftlichen Folgen stellen und auch beantworten muss.
Werden solche Systeme eine neue Gesundheitsökonomie einleiten? Werden wir neue Metriken dafür entwickeln, bei wem sich Behandlung lohnt oder nicht? Gibt es individuelle Strafen für falsche Lebensführung? Ist ihr schönes Armband nicht der Schlussstein der Quantifizierbarkeit des Einzelnen, der sich nun in nichts mehr vom Modell des „homo oeconomicus“ unterscheidet: eines Wesens, das ausschließlich einer Effizienz- und Kontrollogik gehorcht?
Sogar die Liberalen schweigen über die Digital-Monopolisten
Abgesehen von der wesentlichen, dramatischen Wortmeldung von Martin Schulz, der in der F.A.Z. eine brisante Debatte eingeleitet hat, an der bemerkenswerterweise auch Gerhart Baum teilnahm, sind gerade marktorientierte politische Parteien, deren Stunde jetzt eigentlich schlagen müsste, offenbar gar nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass sich die Voraussetzungen ihrer gesellschaftlichen Existenzbedingungen radikal zu verändern beginnen.
Das zeigt am deutlichsten das Schweigen der Liberalen. Wenn nicht schon das Entstehen beispielloser Datenmonopole im Silicon Valley, so hätte spätestens der Fall Snowden sie darüber belehren müssen, dass Märkte und Gesellschaften zunehmend zentralen Steuerungslogiken unterworfen werden, die im fundamentalen Widerspruch zu den Ideen des Liberalismus stehen.
Hayeks gegen die Planwirtschaft gerichteter Satz beispielsweise, dass es in Märkten keinen gebe, der das vollständige Wissen habe, weshalb die Selbstorganisation von Märkten das Wissen gleichsam indirekt produziere, beginnt zu zerfallen. Das absolute Wissen ist heute Unternehmenszweck von imperialen Digitalmonopolen und der NSA.
Die neuen Informationsmärkte stabilisieren Befehlsketten
Die Frage, die sich stellt, lautet: Wollen wir eine Politik, die Betriebsanleitungen vorliest, oder eine, die sie in demokratischen Kommunikationsverfahren verfasst? Wollen wir, dass Normen durch selbstregulierte technische Systeme gleichsam instinkthaft eingeübt werden – und genau das passiert gerade – oder dass sie reflektiert und diskutiert werden?