Verschenkte Marx-Statuen : Rätselhafte Meteoriten aus der fremden Welt
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Die Karl-Marx-Statue des chinesischen Künstlers Wu Weishan bei der Enthüllung im Mai 2018 Bild: dpa
50.000 chinesische Touristen kommen jährlich in die Heimatstadt von Marx. Die Marx-Büste für Trier war also ein nicht ganz uneigennütziger Freundschaftsbeweis Chinas. Und das Danaergeschenk hat Tradition.
Ein Höhepunkt unter den Gedenkveranstaltungen zum zweihundertsten Geburtstag von Karl Marx war die Errichtung einer Monumentalstatue in seiner Vaterstadt Trier. Die gut fünf Meter hohe Bronzeplastik wurde vor Hunderten von Ehrengästen enthüllt. Das Werk des Bildhauers Wu Weishan war ein Geschenk der Volksrepublik China.
Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, bekannte: „Das Geschenk aus China empfinde ich als eine Säule und Brücke der Partnerschaft.“ Sie verkennt dabei: Die Chinesen haben sich dieses Geschenk selbst gemacht. Die konventionelle Plastik richtet sich hauptsächlich an chinesische Touristen, die sich vor dem Denkmal fotografieren möchten. Als Kulisse benötigen sie eine monumentale Figur mit hohem Wiedererkennungswert. Bereits jetzt besuchen 50.000 chinesische Touristen jährlich die Heimatstadt von Marx. Gelockt von Mehreinnahmen durch diesen Tourismus, bietet die Bundesrepublik eine Bühne für die chinesische Selbstinszenierung und Selbstvergewisserung. Obwohl am Geburtsort von Marx plaziert, ist Wu Weishans Plastik im Deutschland der Gegenwart ein Fremdkörper, etwas von außen Aufgezwungenes, es handelt sich bei beiden Ländern ja nicht um ideologisch verwandte Regimes wie weiland die DDR oder die Sowjetunion.
Für dieses Danaergeschenk finden sich bemerkenswerte Parallelen in der Geschichte. So erhielt die ostdeutsche Industriestadt Chemnitz, die zuvor in Karl-Marx-Stadt umbenannt worden war, von der Sowjetunion gratis eine vierzig Tonnen schwere Marx-Bronzebüste. Ihr Schöpfer war der Bildhauer Lew Kerbel, der sich mit Heldendenkmälern für die Rote Armee einen Namen gemacht hatte, und der über persönliche Beziehungen zu Staats- und Parteichef Erich Honecker verfügte. Die Chemnitzer Marx-Büste wurde in Leningrad gegossen, zerlegt und in der DDR wieder zusammengesetzt. Am 9. Oktober 1971 weihte sie der Künstler in Anwesenheit von Honecker, Robert-Jean Longuet, dem Urenkel von Marx und weiteren Ehrengästen ein. Fast eine Viertelmillion Menschen bot die DDR als Jubelkulisse für die Demonstration der deutsch-sowjetischen Freundschaft auf.
Nach dem Fall der Mauer nahm Chemnitz seinen alten Namen an, doch das Denkmal blieb als touristisches Alleinstellungsmerkmal der Stadt erhalten. Zusammen mit einem gigantischen Lenin-Kopf im sibirischen Ulan-Ude gilt es als größte Personenbüste der Welt. Der wuchtige Marx-Schädel wirkt heute wie ein rätselhafter Meteorit aus einer fremden Welt, eingeschlagen im Hier und Jetzt. Auf den Einwand des damaligen Stadtbaudirektors Karl Joachim Beuchel, der riesige Bronzekopf auf einem graniten Sockel gestellt erschrecke womöglich selbst die besten Kommunisten, hatte Kerbel entgegnet: „Karl Marx braucht keine Beine, keine Hände, sein Kopf sagt alles.“ Riesenplastiken wie diese waren Geschenke und Machtdemonstrationen zugleich, Geschenke, die man nicht ablehnen konnte – symbolisierten sie doch die Vormachtstellung der Sowjetunion in der DDR.
Die gleiche Methode wendete die DDR an, um einen Juniorpartner und Vasallen an sich zu binden. So spendierte die DDR dem sozialistischen Militärregime Äthiopiens eine monumentale Marx-Büste. Die Denkmalsschenkung anlässlich der Gründung einer „Äthiopischen Arbeiterpartei“ sollte das strategische Bündnis mit der DDR festigen und symbolisieren. Der Bildhauer Jo Jastram versah einen fünf Meter hohen Steinblock aus rotem Meißner Granit mit einem schildartigen Relief mit Marx’ Gesichtszügen. Das Denkmal wurde in der DDR in Teilen vorproduziert, die durch die Ladeluke von Transportflugzeugen passten. Die Hoffnungen der DDR, aus Äthiopien günstig Rohstoffe beziehen zu können, erfüllte sich nur teilweise, doch Honecker feierte das Marx-Monument bei der Einweihung 1984 als „heilige Stätte, die das Wachsen und Gedeihen des Sozialistischen Weltsystems“ versinnbildliche. Tausende äthiopischer Parteimitglieder und Militärangehöriger bejubelten den Staatsratsvorsitzenden in einstudierter Choreographie, und erzeugten bei Honecker die Illusion, die DDR könne „Weltpolitik“ betreiben. Jastrams Marx-Denkmal überlebte die DDR und die Äthiopische Volksrepublik. Es steht noch heute, leicht angeschmuddelt, im Universitätsviertel von Addis Abeba.
Trier, Chemnitz, Addis Abeba – drei Schenkungen zeigen das gleiche Muster: Ein Kunstwerk wird im Exportland konzipiert, produziert und am Zielort von eigenen Fachleuten aufgebaut. So wird auch der eigene Kunstgeschmack exportiert, ohne Rücksicht auf die Traditionen und Mentalitäten des Gastlands. Trotzdem soll das Werk die „Völkerfreundschaft“ und Zusammenarbeit beider Länder symbolisieren. Der zu formende, zu erziehende Juniorpartner, das jeweilige „sozialistische Entwicklungsland“ erhält das Geschenk vom fortgeschrittenen „Großen Bruder“. Der Beschenkte ist eine Projektionsfläche für die Größenphantasien des Schenkenden. Im Fall Trier scheint Deutschland die Herabsetzung nicht wahrnehmen zu wollen, die hiermit verbunden ist – es spielt die Rolle des lernbedürftigen Juniorpartners. Manifestiert sich in dem oktroyierten Geschenk vielleicht das strategische Übergewicht des „Partners“ China?