Der asymmetrische Schostakowitsch
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Kampf der Symbole: Die Machthaber wollen in den weiß-rot-weißen Fahnen der Oppositionellen Sympathiebekundungen für faschistische Politik erkennen. Bild: AP
Wer bedroht hier die staatliche Unabhängigkeit? Das Lukaschenka-Regime mobilisiert die Symbolkräfte des Zweiten Weltkriegs gegen die Demonstranten, aber auch die Opposition vergleicht die Sicherheitskräfte mit der Gestapo.
Kürzlich marschierten wieder einmal zehntausende Einwohner von Minsk zum Museum des Großen Vaterländischen Krieges. Unterwegs wurden sie aus staatlichen Lautsprechern am Sportpalast lautstark mit der 7. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch beschallt. In der „Prawda“ hatte der Komponist im März 1942 geschrieben: „Ich widme meine siebte Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt.“ Dessen Einwohner waren damals von der deutschen Wehrmacht eingekesselt.
Der an der Kundgebung beteiligte Poet Dmitri Strozew publizierte ein Video der Szene, bei der die Stadtverwaltung von Minsk 78 Jahre später zu verstehen gibt: Die friedlichen Proteste seien mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion zu vergleichen, Demonstranten mit weiß-rot-weißen Flaggen stünden dem Faschismus nahe. Der Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaften an der Akademie der Wissenschaften, Wjatscheslau Danilowitsch, hatte in einem Interview im ersten Kanal des belarussischen Fernsehens diese offizielle Deutung bestärkt, indem er die weiß-rot-weiße Flagge in die Tradition der Kollaboration stellte, weil belarussische Nationalisten unter deutscher Herrschaft in diesem Zeichen vergeblich versucht hatten, einen eigenen Staat zu erringen. Danilowitsch empfahl den Demonstranten, erst einmal nachzudenken, bevor sie auf die Straße gingen.
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