
Diversität in Kultur : Alles so schön bunt hier
- -Aktualisiert am
Der britische Travestiekünstler Le Gateau Chocolat verstand seinen Auftritt in Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen 2019 als Signal für mehr Diversität im Kulturbereich. Bild: dpa
Eine neue Studie bescheinigt der deutschen Kultur eine große Diversität. Auf den Gedanken, Vielfalt auch auf die Kunst zu beziehen, kommt niemand.
In den vergangenen drei Jahren hat das Thema „Diversität“ an deutschen Kultureinrichtungen eine wichtige Rolle gespielt. Das ist – überspitzt gesagt – die entscheidende Erkenntnis, zu der ein aus Mitteln der Bundeskultur geförderter Bericht der „Initiative kulturelle Integration“ kommt. Er fasst die Befragung von rund hundert, dauerhaft durch den Bund geförderten Kulturinstitutionen zur Identitätslage ihrer Belegschaft, ihres Publikums und ihres Programms zusammen. Da es sich um eine „komplexe Fragestellung“ handele, beschränkt sich das Erkenntnisinteresse der Studie auf die Kriterien Geschlecht, Alter, körperliche Behinderung und Migrationshintergrund. Man hätte sich durchaus noch weitere Identitätsparameter vorstellen können, etwa die momentan hoch im Kurs stehende sexuelle Orientierung, aber darüber dürfen bislang selbst die aufgeklärtesten Arbeitgeber nichts wissen und also auch keine Angaben machen.
Hat der gestern mit Aplomb vorgestellte Diversitäts-Bericht überraschende Erkenntnisse zu bieten? Ja, denn offenbar ist die Diversitäts-Lage im deutschen Kulturbetrieb aus identitätspolitischer Sicht ziemlich gut. Insgesamt arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer in Kultureinrichtungen, entgegen der gefühlten Wirklichkeit ist der Anteil von weiblichen Beschäftigten also überdurchschnittlich hoch. Auch die Anzahl von Menschen mit Behinderung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund ist bereits entweder identisch oder liegt sogar über dem durchschnittlichen Bevölkerungsanteil: „In jeder zweiten Organisation sind bis zu 25 Prozent der Mitarbeitenden Beschäftigte mit Migrationshintergrund“, hält der Bericht fest. Allerdings ist Migration per se ein weit gefasster Begriff und bezieht sich auch auf die italienische Beleuchtungsmeisterin, den chilenischen Archivmitarbeiter oder die Schweizer Choreographin.
Kaum Menschen türkischer Herkunft
Auffällig ist, dass insbesondere Personen mit türkischem Migrationshintergrund kaum vertreten sind, obgleich sie bekanntlich die größte Einwanderungsgruppe in Deutschland stellen. Woran liegt das? Olaf Zimmermann, Initiator und Mitautor der Studie, sieht „fehlende echte Aufstiegsversprechen im Kulturbereich“ als entscheidenden Grund für das geringe Interesse in dieser Gruppe. Was ein interessanter Gedanke ist, der weitergeführt hieße, dass deutsche Kulturinstitutionen generell kein besonders attraktives Arbeitsumfeld für aufstiegsinteressierte junge Arbeitnehmer bieten.
Apropos jung: Die durchschnittliche Mitarbeitende in einer befragten Kulturstätte ist eine fünfzigjährige Frau. Unter Dreißigjährige sind im deutschen Kulturbetrieb offenbar deutlich unterrepräsentiert. Was etwas Wasser in den schönen Wein mischt, den sich Kulturstaatsministerin Grütters zu ihrem Abschied auf den Schreibtisch hat stellen lassen.
Sowenig der „Migrationshintergrund“ als aufklärende Identitätsbeschreibung taugt, so wenig ist mit dem Ausdruck „divers“ etwas über das generelle Erscheinungsbild eines Hauses gesagt. Denn eine Kultureinrichtung lebt ja nicht nur von ihren Beschäftigten, sondern vor allem auch von ihrem Publikum. Über dessen Zusammensetzung konnten überraschenderweise nur etwas mehr als die Hälfte der befragten Institutionen Angaben machen. Konnten oder wollten? Beim Blick in ihre Museumsfoyers oder Archivräume wird wohl den meisten Funktionären nach wie vor ihre gute Diversitätslaune vergehen. Und was ihr Programm angeht – dazu steht im Bericht, dass Institutionen vor allem auf ihre Weiterbildungsangebote und ihre „diversitätsgerechte Sprache“ verwiesen.
Auf den Gedanken, dass ja die meisten Kulturangebote selbst schon die Vielfalt der Erde und ihrer Bewohner in sich tragen, dass sie meist von Menschen handeln oder geschaffen sind, die überwiegend nicht dem Durchschnitt entsprechen, sondern aus den „diversesten“ Gründen verletzt, verzweifelt, ausgestoßen, schüchtern, größenwahnsinnig oder sonst wie besonders (gewesen) sind – kommt bei so einer Studie offenbar niemand. Es ginge ihr wirklich nur um strukturelle Fragen, die Freiheit der Kunst solle unangetastet bleiben, betont Zimmermann. Das sagt sich immer so schnell und leicht, aber unter welchen Druck man insbesondere kleinere Institutionen mit dem unbestimmten und dadurch potentiell stets erweiterbaren Diversitätsanspruch setzt, darüber denkt offenbar keiner nach. Schon gar nicht eine Kulturpolitik, die sich durch solche Forderungen vor allem in ihrem eigenen fortschrittlichen Ansehen sonnen will.