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Theologisches Streitgespräch : Sind wir Christen noch bei Trost?

Uneinig in konfessionellen Fragen: Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf (links) und der Schriftsteller Martin Mosebach Bild: Andreas Müller

Der eine sagt, eigentlich müssten wir das ganze Jahr über Weihnachten feiern, weil es immer um die Menschwerdung Gottes gehe. Der andere sagt, man dürfe nicht blind glauben. Ein konfessionelles Streitgespräch zwischen Martin Mosebach und Friedrich Wilhelm Graf.

          18 Min.

          Herr Graf, Sie haben Herrn Mosebach öffentlich „kenntnisarme Vorurteile“ über den Protestantismus bescheinigt. Herr Mosebach, was sagen Sie dazu?

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.
          Edo Reents
          Redakteur im Feuilleton.

          Mosebach: Der Protestantismus ist ein gewaltiger Kontinent, und ich kann nicht hoffen, dass ich ihn ganz überblicke. Aber ich bin der Sohn eines engagierten Protestanten, der bis zu seinem letzten Atemzug ein solcher geblieben ist und nicht versäumt hat, uns seine Überzeugungen am Esstisch darzulegen.

          Graf: Aber Sie haben doch wunderbare antiprotestantische Vorurteile!

          Mosebach: Ich weiß nicht, ob es Vorurteile sind. Vielleicht sind es dann doch Urteile. Was meinen Sie zum Beispiel?

          An der zitierten Stelle seiner Besprechung von Navid Kermanis Buch „Ungläubiges Staunen“ schreibt Herr Graf Ihnen die Auffassung zu, der Protestantismus sei „allzu intellektualistisch, moralisierend, zeitgeistkonform“.

          Mosebach: Diese Worte würde ich mir gar nicht zu eigen machen, weil es diese Tendenzen in der katholischen Kirche ganz genauso gibt. Auch moralisierend ist die katholische Kirche geworden, indem sie sich von ihrer spezifischen Spiritualität und Sakralität abgewandt hat.

          Graf: Würden Sie das als Protestantisierung des deutschen Katholizismus deuten?

          Mosebach: Des deutschen? Das ist eigentlich ein Weltphänomen.

          Herr Graf, Sie sagen, es sei ein Vorurteil, wenn man den Protestantismus assoziiert mit „intellektualistisch, moralisierend, zeitgeistkonform“. Was fehlt denn in diesem Bild?

          „Es ist in aller Regel eher eine triviale Moral, die verkündet wird“, findet Friedrich Wilhelm Graf.
          „Es ist in aller Regel eher eine triviale Moral, die verkündet wird“, findet Friedrich Wilhelm Graf. : Bild: Andreas Müller

          Graf: Das mit dem Intellektualistischen leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wir erleben doch das Gegenteil, eine Entintellektualisierung! Ich will da zwischen Katholizismus und Protestantismus gar keinen großen Unterschied machen. Hegels Formulierung vom Christentum als „denkender Religion“ werden Sie heute kaum noch jemandem vermitteln können. Das Moralisieren ist in der Tat interessant, weil wirklich sehr viele religiöse Akteure auf Moral gesetzt haben. Dabei hat einer der großen Theoretiker des modernen deutschen Protestantismus, Friedrich Schleiermacher, seine ganze Argumentationskunst auf die Unterscheidung von Religion, Metaphysik und Moral verwendet.

          Aber das Moralisieren gehört doch dazu.

          Graf: Ach nein, das Moralisieren gehört nicht dazu. Es ist doch in aller Regel eher eine triviale Moral, die verkündet wird. Dass Frieden besser als Krieg ist, ist keine wirklich überraschende Botschaft.

          Mosebach: Vor allen Dingen ist das auch nicht die spezifisch christliche Botschaft. Christlich gesehen, ist der Gegensatz von Frieden nicht der Krieg, sondern die Sünde.

          Hat denn das Christentum außer Trivialvorstellungen keine anderen zu bieten?

          Graf: Das Christentum hat eine sehr komplexe religiöse Symbolik. Es spricht davon, dass der Mensch sich verfehlen kann – Stichwort „Sünde“. Wir haben ja Überlieferungsbestände, die in der kirchlichen Verkündigung nur noch eine geringe Rolle spielen. In diesem Punkt bin ich mit Herrn Mosebach sehr einig: dass Religion so trivial kommuniziert wird.

          Deswegen wohl auch Ihre Diagnose, dass sich der Protestantismus, vielleicht sogar beide großen Kirchen in einer Krise befinden?

          Graf: Davon bin ich überzeugt.

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