Armenien-Resolution : Diese Diplomatie hat kurze Beine
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Reicht ihm das jetzt? Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan treffen sich am Rande des G20-Gipfels in China. Bild: dpa
Wir sind schmerzbereit, erklärt der Regierungssprecher Steffen Seibert zur Freude von Erdogan. Im Spektakel um die Armenien-Resolution des Bundestags haben alle Schaden genommen.
Ist nun alles wieder gut? Die Kanzlerin stellt nach ihrem gestrigen Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten „positive Nachrichten“ in Aussicht, was das geltende Besuchsverbot von deutschen Abgeordneten in Incirlik angeht. Das wiederum war keine Neuigkeit, denn schon zuvor hatte die türkische Seite den Regierungssprecher Steffen Seibert für seine Einlassung zur Armenien-Resolution ebenso prompt wie ungeniert belobigt. Positiv, gewiss, im Blick auf die Reisebereitschaft unserer Abgeordneten. Aber gut? Nein, eine gute politische Nachricht ist diese türkische Positiv-Perspektive (eine Kurzfrist-Perspektive von hier bis dort) nicht. Es ist sogar eine ausgesprochen schlechte politische Nachricht.
Denn, wenn es noch eines Beleges bedurft hätte, dass Seiberts Einlassung - vorderhand ein Dementi der Distanzierungsthese - ein ausgehandelter Kotau vor Erdogan war, dann lag er mit dem unverzüglich türkischen Placet vor. „Wir sehen das generell eher positiv“, erklärte ein Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin gleich nach Seiberts Statement. „Wir schätzen Seiberts Aussage, dass den Gerichten die Entscheidung obliegt, was Völkermord ist - und nicht dem Parlament. Darüber hinaus stimmen wir Seiberts Bewertung zu, dass die Bundesregierung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag.“
Erdogan hat die Botschaft verstanden
Der Botschaftssprecher hatte die Botschaft verstanden. Hat er sie womöglich missverstanden? Keineswegs. Seiberts Klarstellung war gerade keine bloße Rekapitulation der parlamentarischen Geschäftsordnung, sie war selbst ein hochpolitischer Akt, indem sie eins zu eins den Willen Erdogans erfüllte, die Armenien-Resolution zu schwächen, sie in einem auffälligen Nachklapp als nicht rechtsverbindlich zu markieren. Das diplomatische Desaster des Vorgangs besteht nicht etwa darin, dass Überzeugungen verraten worden wären. Diplomatie kennt keine Überzeugung, sondern nur Überlistung, wie richtigerweise der Philosoph Helmuth Plessner in seiner Schrift „Grenzen der Gemeinschaft“ ausführt. Nein, desaströs war Seiberts Auftritt, weil er bei aller Raffinesse (scheinbares Dementi eines gestreuten Gerüchts) der deutschen, der europäischen Diplomatie doch einen Bärendienst erwies. Die beflissenen Regierungshändler verkannten, dass es Erdogan in der Frage der Armenien-Resolution lediglich um einen Schmerzgrenzentest für künftige Erpressungen ging. Und das amtliche Testergebnis, welches Seibert dem türkischen Auftraggeber mitteilte, lautete: Wir sind schmerzbereit.
„Diplomatie bedeutet das Spiel von Drohung und Einschüchterung, List und Überredung“, so Plessner. Die deutsche Regierung liest diesen Spielplan als Aufgabenteilung: Sie selbst ist willens, den Part von List und Überredung zu übernehmen, Erdogan gesteht sie Drohung und Einschüchterung zu. Dass List und Überredung an dem Potentaten ebenso abprallen, wie Drohung und Einschüchterung bei Merkel wirken, steht im Kleingedruckten der Spieleanleitung und macht das deutsche Loser-Szenario so vorhersehbar. Als wisse man inzwischen nicht zur Genüge, dass Erdogan auch gerichtliche Feststellungen in den Wind schlägt, auf die Justiz pfeift und sie gegebenenfalls in die Wüste schickt; die im Blick auf die Armenien-Resolution geforderte Unterscheidung von politisch und juristisch erscheint schon von daher lediglich als ein Mittel, die Bundesregierung in ihrer Devotheit vorzuführen. Wie sollte Seiberts pflichtschuldige Rechtsbelehrung bei einem Machthaber verfangen, welcher selbst der Rechtsprechung spottet? Seiberts List war Selbstverhöhnung.