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Soziologin Illouz über Trump : Gefühle sind nicht das Problem

Ein Protestmarsch in Philadelphia im Januar 2017 Bild: Bloomberg

Wie wehrt man sich, wenn die Lüge an der Herrschaft ist? Ein Gespräch mit der Soziologin Eva Illouz über Donald Trump als Privatperson, die an der Spitze eines Staates ihren Gefühlen freien Lauf lässt.

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          „Sind Gefühle in der Politik erwünscht oder nicht? Und muss man Wut unbedingt als ein negatives Gefühl verstehen?“, hieß der Titel eines Essays, den die israelische Soziologin Eva Illouz im Oktober 2015 im Feuilleton der Sonntagszeitung veröffentlichte. Sie verwies darin auf ein Paradox: Moderne liberale Gemeinwesen beruhten auf der Voraussetzung der Rationalität, das heißt auf der Annahme, dass die Bürger ihre Führer nach ihren Interessen wählen, und auf der Annahme, dass die Öffentlichkeit ein Bereich der gründlichen Erwägung und Debatte sei. Zugleich werde moderne Politik über Bilder, Printmedien, Mythenbildung und einen unaufhörlichen Fluss von Medienerzählungen vermittelt, die als produziertes Spektakel Gefühle manipulieren.

          Julia Encke
          Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Natürlich könnte man sagen, dass diese Feststellung nichts Neues sei und dass die Alten, Plato und mehr noch Aristoteles, die Beziehung zwischen den Gefühlen und dem politischen Diskurs, zwischen der großen Erzählung und der Rhetorik verstanden hätten. Doch könnten die Alten uns nicht als Leitbilder für die Analyse dessen dienen, was heute in der modernen Politik geschieht, da sie ein qualitativ anderes Verständnis von der Rolle der Gefühle hatten. Sie haben sich hauptsächlich auf die Wirkung bezogen, die Führer, und insbesondere charismatische Führerschaft, auf die Gefühle ihrer Zuhörer hatten, betrachteten Gefühle als effektive Manipulation der öffentlichen Rede, des Redners, des Führers.

          Eva Illouz dagegen meint, dass Gefühle in der gegenwärtigen Politik strukturell verstanden werden müssen. „Gefühle“, so ihre These, seien so gesehen „nicht nur Bestandteil des modernen politischen Prozesses, sie sind sogar manchmal durchaus vorteilhaft für den politischen Prozess“.

          Frau Illouz, wie würden Sie Donald Trumps Art, Politik zu machen, beschreiben? Ist das Wort „Gefühl“ in seinem Fall überhaupt der richtige Begriff?

          Eva Illouz
          Eva Illouz : Bild: Antje Berghaeuser/laif

          Gefühle sind nicht das Problem von Trump! Das Problem von Trump ist, dass er jedes Prinzip und jedes Axiom kommunikativen Handelns und kommunikativer Rationalität im öffentlichen Raum verspottet: Er lügt ständig und missachtet den Grundsatz, dass man sich wenigstens den Anschein geben sollte, die Wahrheit zu sagen. Er bestreitet die Gültigkeit von Wissenschaft und damit die Existenz objektiver Maßstäbe zum Vergleich miteinander konkurrierender Behauptungen. Er bestreitet überhaupt, dass es eine gemeinsame Welt für alle Menschen gibt. Für ihn existiert nur eine Welt, die aus Menschen besteht, die ihn uns seine Interessen unterstützen – seine Verleugnung der Erderwärmung ist dafür nur ein Beispiel. So wie er mit anderen Nationen kommuniziert, versucht er noch nicht einmal den Eindruck zu erwecken, dass es darum geht, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln: Es ist eine reine Machtdemonstration und nichts anderes, wie in Fall der Drohung, Mexiko für die geplante 20-Milliarden-Dollar-Mauer zahlen zu lassen. Sein politischer Diskurs spielt immer wieder mit dem Element der Aggression, gegen Feinde oder Konkurrenten („Lock her up“), aber auch in Bezug auf Staaten, die eigentlich als Verbündete gelten – etwa bei seiner Forderung, andere Länder sollten die Vereinigten Staaten für ihre Nato-Mitgliedschaft bezahlen. Seinen privaten, persönlichen Gefühlen, seien es Verletzungen oder Rachegelüste, lässt er freien Lauf, wodurch er zu einer Privatperson an der Spitze des Staates wird.

          Sein Twitter-Account ist dafür geradezu ein Sinnbild.

          Ja. Sein manisches Twitter-Verhalten wischt die Unterscheidung zwischen dem Repräsentanten einer Nation und eines Staates einerseits und dem einfachen Privatmann andererseits beiseite. Seine Verweigerung, seine Steuererklärung zu veröffentlichen oder seine privaten Geschäfte von seinen staatlichen Funktionen strikt zu trennen, ist der Ausdruck seiner Verachtung von elementaren Regeln der öffentlichen Moral und Transparenz. Das ist eine dramatische Umkehrung jeder Regel der politischen Kommunikation, wie wir sie kennen. Einfach zu sagen, das Problem der Trumpschen Politik sei ihre Emotionalität, ist eine Beleidigung der Emotionalität und heißt zugleich, das massiv zu unterschätzen, was so einzigartig und wirklich abgründig in seinem Charakter ist. Manchmal glaubt die Linke einfach zu sehr an die Rationalität und zu wenig an die Macht der Wut, der Empörung und des Abscheus - allesamt unbedingt angemessene Reaktionen im Fall von Trump.

          Halten Sie in Ihrer These fest, dass Gefühle in der gegenwärtigen Politik nicht als rhetorischer Effekt verstanden sollten, den der Diskurs eines Politikers erzeugt, sondern als strukturelles Phänomen?

          Aber natürlich. Heute mehr denn je. Wenn die Linke und die Journalisten das gewaltige Ressentiment verstanden hätten, das in der amerikanischen Gesellschaft brodelt; wenn sie nicht vernünftig angenommen hätten, dass die Menschen jemanden wie Trump einfach nicht wählen würden; dass die kompetentere Kandidatin die sein würde, die offenkundig gewählt wird - dann wären wir vielleicht weniger überrascht gewesen. Trump ist nicht so sehr das Resultat ideologischer Überzeugungen (außer für eine Minderheit), sondern das Resultat einer immensen Wut ohne Adressaten, die sich in der amerikanischen Gesellschaft aufgebaut hat.

          In dieser Woche gab es die riesigen Protestmärsche gegen den neuen Präsidenten. Sind sie auch Teil einer Normalisierung des Präsidenten Trump, die bereits begonnen hat?

          Da haben Sie völlig Recht. Für einen sehr abnormalen Politiker ist das eine „normale“ Politik. Im Jahr 2017 in Washington auf diese Weise zu demonstrieren, heißt, sich derselben politischen Taktiken zu bedienen wie beim Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit 1963, wo es Politiker gab, die die Regeln der Kommunikation respektiert haben und der Stimme des Volks, das mehr Bürgerrechte für Afroamerikaner forderte, Gehör schenkten. Bei einem Präsidenten, der sich an all diese Regeln nicht hält, muss man auf andere Taktiken zurückgreifen. Die Linke muss begreifen, dass die konventionellen Methoden der politischen Bühne unangebracht sind, wenn es um einen Präsidenten geht, der die Regeln kommunikativer Rationalität so unverhohlen ignoriert. Sie muss lernen, wie sie die Wut und die Unzufriedenheit der Menschen aufgreifen und in Richtung eines gemeinsamen, integrierenden Projekts lenken kann. Und die Linke muss politisch robuster werden und bereit und willens sein, gegen einen Gegner zu kämpfen, der nur schmutzige Tricks kennt. Denn wenn man selbst als einziger die Regeln des Anstands wahrt während der Feind jede einzelne Regel des Anstands bricht, wird man immer verlieren.

          Was meinen Sie? Soll auch die Linke die Regeln des Anstands brechen? Ist das nicht das Ende von allem, wenn auch sie das böse Spiel spielt?

          Die liberale Linke muss ihr Vorgehen im politischen Spiel überdenken und erweitern. Das bedeutet nicht, dass sie auch die Regeln missachten soll, aber sie muss neue, kreative und wirkungsvolle Maßnahmen entwickeln, mit denen sie der völlig losgelöst wirkenden und agierenden Rechten begegnen kann. Das bedeutet etwa, zurück in die Viertel und Kommunen zu gehen und dort die Menschen zu organisieren – und in der politisch-medialen Arena knallhart zu agieren.

          Wie fühlen Sie persönlich sich angesichts der gegenwärtigen politischen Situation?

          Für mich stellt, was gerade passiert, die größte politische Herausforderung meines Lebens dar. Was in Frage steht, ist die fundamentale Annahme, dass die Welt sich teilen lässt in eine „freie“ demokratische Welt, in der Wahrheit Wertschätzung hat, und in eine dunkle Welt, in der Korruption und Lügen einander ernähren. Trump ist das Spiegelbild von Putin. Wie Masha Gessen von der „New York Review of Books“ es so treffend gesagt hat: Als Machthaber verkörpern sie beide etwas zutiefst Mittelmäßiges. Ihre Herrschaft ist die der „Kakistokratie“: die Herrschaft der Schlimmsten.

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