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Soziale Ungleichheit : „Wir sitzen im Knast, weil wir arm sind“

  • -Aktualisiert am

Haben denn die Kinder recht, wenn sie sagen, dass es für sie nichts gibt? Bild: dpa

Wenn ich keinen Zugang zur politischen Bildung habe und niemanden finde, der mir Dinge erklärt – wie soll ich mir dann eine politische Meinung bilden können? Ein Gastbeitrag über die Arbeit mit Jugendlichen ohne Chancen.

          5 Min.

          Oft werde ich gefragt, ob marginalisierte junge Menschen ein Bewusstsein für ihre eigene gesellschaftliche Position haben. Ich gab die Frage an acht inhaftierte junge Männer einer Jugendarrestanstalt weiter. Allerdings mit einer anderen Wortwahl. Unter „marginalisiert“ hatten sich die Befragten etwas mit Magnesium vorgestellt. Also frage ich: „Warum begegnen mir eigentlich so wenig Akademikerkinder in meinen Literaturwerkstätten, obwohl ich seit mehr als zehn Jahre in Jugendgefängnisse, Arrestanstalten, Haupt- und Förderschulen et cetera gehe?“ Nachdem sie Akademikerkinder mit Bonzenkinder übersetzt haben, meldet sich ein Junge und sagt, dass er mir am nächsten Tag die Antwort geben könnte. Am nächsten Tag gibt er mir einen Zettel und bittet mich, seine Antwort vorzulesen.

          „Wir sitzen im Knast, weil wir arm sind“, lese ich vor, „Reiche Kinder sitzen nicht im Knast. Wir begegnen uns auch nicht. Wir haben nichts mit denen zu tun. Höchstens, wenn wir bei denen einbrechen oder die bei uns Drogen kaufen. Um reiche Kinder kümmern sich die Politiker. Für uns interessieren die sich nicht. Die kriegen gutes Essen und anständige Kleidung. Die wollen ja, dass aus denen auch was Gutes wird. Die interessieren sich nur für uns, wenn wir Mist bauen und denen schaden. Wir sind der Welt scheißegal.“ Etwas bedrückt lege ich den Zettel weg. „Nicht traurig sein, Mirijam,“ beruhigt mich einer aus der Gruppe, „wir kommen schon klar. Scheiß drauf, was die Leute über uns denken.“

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