Shahak Shapira über „Yolocaust“ : „Dann würden die Leute verstehen, dass es einfach bescheuert ist“
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In Berlin wird das Holocaust Mahnmal allzu oft als Freizeitpark missverstanden Bild: Reuters
Was haben Selfies und Fotos von KZ-Häftlingen miteinander zu tun? Shahak Shapira verbindet sie in seinem neuen Projekt „Yolocaust“. Ein Gespräch über eine erfolgreiche Provokation.
Shahak Shapira musste sich auf Facebook bereits entschuldigen. Nicht wegen der Bilder, sondern wegen des Servers, der die hohe Anfrage nicht verkraftete. Die Seite „yolocaust.de“ war kurzfristig nicht mehr aufzurufen, zeigt inzwischen aber wieder jene Bilder, die online bereits ein Hit sind.
Den Hype erregen Fotomontagen Shapiras. Wer die Homepage besucht, sieht zunächst verschiedene aus sozialen Medien wie Instagram oder Facebook stammende Bilder von meist fröhlich feiernden Touristen oder sich erstaunlich räkelnden Yoga-Frauen auf oder zwischen den Steinen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Bewegt man aber die Maus über die Bilder, dann ändert sich der Hintergrund. Es springen, turnen und jonglieren die Protagonisten nun nicht mehr vor den betongrauen Stelen des Berliner Denkmals, sondern inmitten eines nationalsozialistischen Vernichtungslagers. Leichenberge, Massengräber und KZ-Häftlinge in verheerendem Zustand tauchen auf und stehen plötzlich im Hintergrund der arglosen Touristen. Er wolle mit dem Projekt darauf aufmerksam machen, dass die Art und Weise der Erinnerung am Berliner Holocaust-Denkmal sich dramatisch normalisiert habe und deshalb auch provokativ auf die Missstände aufmerksam gemacht werden müsse, sagt Shahak Shapira im Gespräch.
Herr Shapira, die Reaktionen auf Ihr Projekt „Yolocaust“ sind enorm. Allein in den ersten 24 Stunden wurde die Seite 1,2 Millionen Mal aufgerufen. Wie sind die Rückmeldungen bisher?
Ich bekomme fast ausschließlich positives Feedback, sowohl aus Deutschland als auch aus dem Ausland. Neben den vielen mehrheitlich freundlichen Kommentaren auf Facebook und Twitter haben mir zum Beispiel viele Lehrer geschrieben, was mich sehr gefreut hat. Die würden die Bilder gerne im Unterricht verwenden. Aus England schrieb mir ein Holocaust-Forschungsinstitut und dankte für einen wertvollen Beitrag und auch das Yad Vashem hat mir seinen Zuspruch zugesichert, was ich gut finde. Ich habe heute ein Bild wieder herausgenommen, weil sich eine Person bei mir meldete, die auf einer der Fotomontagen zu sehen ist. Ihm schien es aber eher peinlich, er war nicht sauer. Andere aber schicken mir jetzt Emails mit Fotos von ihren Ausflügen mit Freunden und Bekannten zum Mahnmal, und wollen, dass ich die jetzt hochlade in dem Projekt, was ich reichlich komisch finde.
Geschmacklose Selfies vor Mahnmalen kennt man auch aus anderen Kontexten. Nicht zuletzt in Auschwitz ist es ein regelrechter Hype, sich dort zu fotografieren und die Bilder zu posten. Warum haben Sie gerade das Mahnmal in Berlin ausgewählt?
In Berlin ist das Phänomen am größten, deshalb fand ich es dort am spannendsten. Tausende von Selfies kursieren auf diversen Plattformen, sogar auf Tinder kann man sie finden, und weil es sich in Berlin so verselbständigt hat, wollte ich unbedingt zum Berliner Mahnmal was machen. Ich trage die Idee schon eine Weile mit mir herum, aber erst in den letzten zwei oder drei Monaten haben ich mit den Fotomontagen und der Homepage angefangen. In Auschwitz weißt du viel mehr über den Ort, da fährst du raus, und der Ort selber nimmt dich in Besitz. In Berlin liegt das zwischen Adlon und Potsdamer Platz. Obwohl die Leute auf ihren Posts oft den Ort, also „Holocaust Memorial Berlin“ oder Ähnliches angeben, scheinen sie oft nicht zu verstehen, was sie da machen. Dieses Verhalten hat sich so eingespielt, dass ich unbedingt darauf aufmerksam machen wollte.
Liegt das vielleicht auch am Mahnmal selbst, an der Form des Mahnmals? Ist dein Projekt vielleicht auch eine indirekte Kritik an dem Mahnmal selber?
Ich weiß nicht, vielleicht sollte das Mahnmal genau so sein. Ich glaube, dass das Mahnmal ganz gut widerspiegelt, wie die jungen Leute von heute damit umgehen. Und das finde ich interessant. Es muss ja nicht so sein, dass da alle super traurig durch die Gegend laufen. Es ist nicht unbedingt eine Kritik, vielmehr eine Auseinandersetzung.
Die Auswahl der gegenübergestellten Bilder könnte man auch als etwas willkürlich beschreiben. Warum genau dieses Bild zu jenem Selfie gestellt wird, erschließt sich nicht wirklich. Ist es nicht etwas geschmacklos, die Fotos der Inhaftierten in so einer Weise zu zeigen? Drastisch formuliert, könnte man auch sagen, die Touristen trampeln erneut auf den Toten herum.
Den Toten macht´s ja nichts aus.
Aber vielleicht den Lebenden, die sich an die Toten erinnern.
Wieso?