Selbstoptimierung : Mensch in der Mangel
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Der Unterschied zwischen pharmakologischen und natürlichen Stimulanzen ist immer nur „ein gradueller, kein kategorialer“, erklärt Andreas Heinz. Bild: dpa
Optimierung führt nicht immer zum Vorteil. Sie liegt vielmehr im Auge des Betrachters. Was anfänglich ein Vorteil ist, muss nicht immer einer bleiben. Warum Selbstoptimierer nun nervös werden müssen.
Was unterscheidet Leidenschaft von Sucht? Ist jedes obsessive Verhalten, dem wir umgangssprachlich schnell das Etikett „Sucht“ verpassen – Arbeitssucht, Kaufsucht, Sexsucht – krankhaft? Treffen sich diese beiden Figuren nicht auf einer Linie: der Glückspieler, der von seinem Erlebniszustand nicht loskommt, ihn immer wieder neu herbeiführen muss, und der Gehirn-Doper, der sich an den Tropf psychoaktiver Substanzen hängt? Anders gefragt: Ist das, was unter dem Namen Neuro-Enhancement diskutiert wird (Hirndoping von Ritalin bis Koffein), etwas kategorial anderes als die Leistungssteigerung durch natürliche Reize?
Der Grat mag schmal sein, die Unterscheidung prekär, aber klar scheint zu sein: Nicht jede Abhängigkeit verdient es, pathologisiert zu werden. Darauf wird nun auch innerhalb der Psychiatrie zunehmend aufmerksam gemacht – mit bemerkenswerten hirnbiologischen Begründungsstrategien. Soweit man es an den Wirkungen auf die zentralnervösen Hirnregionen ablesen könne, sei der Unterschied zwischen pharmakologischen und natürlichen Stimulanzen immer nur „ein gradueller, kein kategorialer“, erklärt Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte in Berlin. Zwar könne man nachweisen, „dass Drogen und Medikamente mit Abhängigkeitspotential, wie die zum Neuroenhancement, diese zentralnervösen Strukturen deutlich stärker stimulieren als natürliche Verstärker“. Die empirisch messbaren Daten zeigten aber auch, „dass hier eben graduelle und keine kategorialen Unterschiede vorliegen“, so Heinz in seinem neuen Buch „Der Begriff der psychischen Krankheit“.
Die Pathologisierung menschlicher Handlung
Der Psychiater deutet an, dass er sich mit seinen Begrifflichkeiten auf dünnem Eis bewegt. Denn die empirischen Befunde der Hirnbiologie sprechen nicht für sich selbst. Wann eine graduelle Steigerung in einen kategorialen Wechsel umschlägt, ist eine Frage der Deutung, die ihre Anhaltspunkte gewiss in den Veränderungen der neuronalen Systeme findet, sich aber überzeugend erst beantworten lässt im Blick auf das Selbstverhältnis des Betroffenen, welches sich unter Reizzufuhr verändert, sowie mit Blick auf die sozialen Folgen seiner Abhängigkeit.
Auch Abhängigkeit versteht sich nicht von selbst. Sonst gilt bald jedes Gefühl, nicht anders zu können, schon als behandlungsbedürftig. Nicht jede Lebensuntüchtigkeit, die sich aus übermäßiger Stimulanz der Psyche ergibt, ist ein Fall für die Psychiatrie. Hier gehe es darum, so Heinz, „die Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen zu respektieren und auf eine Pathologisierung menschlicher Handlungen möglichst zu verzichten“. In diesem Sinne setzt sich der Psychiater entschieden für eine anthropologische Fundierung seines Faches ein, um diagnostisch nicht isolierten Symptome aufzusitzen. Lange Zeit ging es der Psychiatrie um die Ausweitung psychiatrischer Diagnosen, bis man beinahe jedes unangepasste Verhalten für eine psychische Störung hielt. Nun kommt es innerhalb der Zunft erkennbar zu einer Gegenbewegung.
Eine Verschlimmbesserung im Ganzen
Der Preis der Entpathologisierung, die sich hier Bahn bricht, scheint die Entdramatisierung des Enhancement-Komplexes zu sein, also der Bemühungen, durch Eingriffe in die menschliche Natur (welcher Art auch immer) „besser“ zu werden: klüger, schöner, leistungsstärker. Sollen Einwände gegen die Optimierung fruchten, müssen die Optimierungs-Gegner ihre Kritik nicht länger an den Methoden als solchen festmachen (also an den pharmakologischen oder technizistischen Mitteln der Verbesserung), sondern an den durch diese Methoden deformierten Zielen der Verbesserung.
Genau auf diese Pointe stellt der Soziologe Peter Wehling unter der Überschrift „Warum immer besser werden?“ in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Westend“ ab: Beim biotechnologischen Neuro-Enhancement verenge sich das Verständnis von Selbstgestaltung „auf quantitative Effekte der Zu- oder Abnahme von Eigenschaften und Fähigkeiten, und auch qualitative Veränderungen eines Selbst werden in die Logik eines Mehr oder Weniger übersetzt“. Dass solche Steigerungen von „Eigenschaften und Fähigkeiten“ im Zweifel auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen, weil jede Verbesserung im Einzelnen eine Verschlimmbesserung im Ganzen bedeuten kann, hat zuletzt noch einmal Jürgen Habermas hervorgehoben. In der von Smail Rapic soeben herausgegebenen Dokumentation „Habermas und der Historische Materialismus“ knüpft Habermas an frühere Texte an, in denen er anhand des extremen Beispiels des Designer-Babys die Luft aus dem Enhancement-Gedanken ließ. Niemand könne wissen, so Habermas, ob sich ein genetisch programmierter „Startvorteil“ im Laufe einer Biographie nicht als Nachteil herausstelle. Ein gutes Gedächtnis etwa sei oft, aber keineswegs immer ein Segen; nicht vergessen zu können sei manchmal auch ein Fluch. Analoges gelte für Schönheit und Hochbegabung, die das Leben nicht nur leichter, sondern auch schwerer machen könnten.
Hier wird an den Betriebsfehler der Optimierer gerührt, die das Mängelwesen Mensch dadurch auf Vordermann bringen wollen, dass sie an seinen Eigenschaften herumdoktern: Sie denken nur bis zur nächsten Ecke.