Keine Angst vor blutbeschmierten Armen
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Musiker in Militärkleidung machen im Moskauer Luschniki-Stadion Stimmung für Russlands Ukrainekrieg. Bild: Sputnik/Imago
Für Putins Propaganda muss auch populäre Musik herhalten: Sie instrumentalisiert die Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg – und präsentiert Neuschöpfungen, die sich wie gelungene Parodien auf den eigenen Eifer ausnehmen. Ein Gastbeitrag.
Da ich ein schwächliches Kind war, das viel zu Hause bleiben musste, passte oft meine Großmutter Kira auf mich auf. Sie war achtzehn gewesen, als Nazideutschland in die Sowjetunion einmarschierte. Wie ihre Freunde und Altersgenossen arbeitete sie Tag und Nacht unter ungeheuer harten Bedingungen (ich glaube, in einem Bergwerk) und bekam auf Lebensmittelkarten winzige Portionen Brot, denn der Sieg hatte Vorrang.
Wenn Oma Kira bei mir war, strickte und sang sie ständig. Es waren Kriegslieder, aber keine forschen, pathetischen, sondern lyrische. Die Menschen ihrer Generation konnten in ihrer Jugend nur Radio hören und laut singen. Deshalb haben die Lieder überlebt. Einige kenne ich noch immer auswendig, etwa den „Zufälligen Walzer“ oder die „Geliebte Stadt“, ich bekomme sogar eine Gänsehaut, wenn ich sie höre. Angesichts der aktuellen Kriegskonzerte habe ich das Gefühl, dass ein Teil meines kulturellen Codes verraten wurde.
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