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Internetkonferenz re:publica : Wir erleben in Europa einen kulturellen Stillstand

Sie debattiert übers kulturelle Gedächtnis auch an diesem Montag auf der Internetkonferenz Republica: Ellen Euler Bild: privat

Politische Unklarheit, rechtliche Zwänge, Googles Großprojekte, Zufall und Zögern: So wird das kulturelle Gedächtnis im Netz verzerrt. Ein Gespräch mit Ellen Euler von der Deutschen Digitalen Bibliothek.

          5 Min.

          Immer mehr Leute scheinen sich darauf zu verlassen, dass sie im Netz schon finden, was wichtig ist – und dass nicht wichtig sein kann, was dort nicht zu finden ist. Was bedeutet das für die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses?

          Fridtjof Küchemann
          Redakteur im Feuilleton.

          Ein erster Zugang wird wirklich oft über das Internet gesucht. Gedächtnisinstitutionen wie Museen, Bibliotheken und Archive müssen dafür sorgen, dass kulturelle Werte und Leitbilder auch im digitalen Informationsmeer verfügbar sind. Also auch dort, wo ansonsten kommerzielle Angebote dominieren.

          Neurowissenschaftler weisen darauf hin, wie wichtig für unser Gedächtnis das Materielle, der Ort, die Verortung ist. Sind wir nicht im Begriff, diese Orte, an denen wir unser gemeinsames kulturelles Gedächtnis pflegen, im Zuge der Digitalisierung aufzugeben?

          Wir schaffen hier einen zusätzlichen Raum. Durch das Digitale verliert der Ort nicht seine Bedeutung oder das Körperliche nicht seinen Wert. Keine Kulturerbeeinrichtung der Welt kann alle ihre Schätze irgendwo räumlich zeigen, und das Internet macht es erstmals möglich, dass wir – die rechtlichen Probleme jetzt einmal außen vor gelassen – das gesamte kulturelle Erbe in seiner Vielfalt sichtbar machen und Kultur da zum Nutzer bringen, wo der Nutzer nicht zur Kultur kommen kann.

          Die Website der Deutschen Digitalen Bibliothek zeigt eine Datenbank im Aufbau, bei der nicht einmal die Hälfte der abgelegten Objekte mit einem Digitalisat, einem Inhalt verknüpft ist. Ein schlichtes Suchfeld, vier Inhaltsfelder, die auf virtuelle Ausstellungen oder Messerückblicke führen – das ist alles. Das kann aber doch nicht alles sein?

          Die Deutsche Digitale Bibliothek vernetzt die digitalen Schätze aus den unterschiedlichsten Einrichtungen in Deutschland miteinander. Das ist nicht auf den ersten Blick zu sehen. Wer hier wie bei Google thematisch sucht, bekommt nicht nur, was er in einer Bibliothek finden würde, auch was in den Museen schlummert, in Mediatheken, Archiven, Einrichtungen der Denkmalpflege und der Wissenschaft, das wird hier miteinander in Beziehung gesetzt. Über eine offene Programmierschnittstelle können nicht nur Bürger, sondern auch Technologien auf die Daten zugreifen und ganz neue Angebote schaffen. Es geht ja nicht nur darum, etwas zu übersetzen und zu übertragen, sondern kulturelle Fortschreibung zu ermöglichen.

          Eine entscheidende Leistung des Gedächtnisses ist das Vergessen. Wer entscheidet im Digitalen, was für das kulturelle Gedächtnis erinnerungswürdig ist?

          Im Internet ist das Gleichgewicht von Erinnern und Vergessen nachhaltig gestört. Einerseits, weil in unserer vernetzten Gesellschaft fast alle am kulturellen Gedächtnis teilhaben und viel mehr Inhalte produziert und geteilt werden, denken Sie nur an die vielen interessanten Blogs. Andererseits, weil die schlichte Wahrheit gilt: „Je neuer das Medium, desto kürzer die Halbwertszeit.“ Daher braucht es nicht nur eine Strategie für das Erinnern, die beantwortet, was digitalisiert werden soll, sondern auch eine Strategie für das Vergessen, die beantwortet, wie wir mit der global bei zunehmender Vernetzung zu beobachtenden Verknappung der Speicherkapazität umgehen. Eine umfassende Theorie zum kulturellen Gedächtnis im Digitalen wäre in diesem Sinne erst noch interdisziplinär zu erarbeiten.

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