
Udo di Fabios Savigny-Verweis : Der Volksgeist und das Recht
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Udo di Fabio im März in Berlin Bild: Clemens Bilan/Epa-Efe/Rex
Ein Landesinnenminister hatte gewünscht, dass richterliche Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen mögen. Jetzt sagt ihm ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter, auf wen er sich hätte berufen sollen. Unpassenderweise.
Wie Robert Liebling, der von Manfred Krug verkörperte Rechtsanwalt, fährt Udo Di Fabio Motorrad. Sogar dieselbe Marke, BMW. Beweglich, kräftig, schnell, im Notfall schon einmal neben der Spur: auch eine Allegorie der Gerechtigkeit. Seit seinem Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht dreht Di Fabio erst richtig auf, als Organ der räsonierenden Rechtspflege in Büchern, Artikeln, Vorträgen und Interviews. Er bemüht sich auch um aussichtslose Mandate.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul hat längst Bedauern über den Satz bekundet, mit dem er das Oberverwaltungsgericht Münster gerügt hatte: „Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“ Neun Monate später bietet sich ihm Di Fabio jetzt im Bonner „General-Anzeiger“ als Rechtsbeistand an: „Auch ein großer Rechtsgelehrter wie Friedrich Carl von Savigny hat vom ,Volksgeist‘ gesprochen, auf den das Recht hören müsse. Hätte der Minister auf Savigny verwiesen, wäre er auf der sicheren Seite gewesen.“
Auf der sicheren Seite? Mit Savigny? Die Helmpflicht hat ihren Sinn: In Sicherheitsfragen sind Rechtsprofessoren nicht unbedingt Experten. Weithin gilt Savignys Doktrin vom Volksgeist als Betrug am Volk, sprach er mit ihr doch seiner Zeit das Recht zur Gesetzgebung ab. Der Christdemokrat Reul hätte den Behördenskandal um den Kinderschänder von Lügde wohl schon nicht mehr im Amt erlebt, wenn er sich vor der Landespressekonferenz mit dem Antidemokraten geschmückt hätte, der 1848 den Sitz des preußischen Ministers für Gesetzgebung frei machen musste. Heribert Prantl hätte den Savigny zitierenden Minister in der „Süddeutschen Zeitung“ zum Rechtssicherheitsrisiko erklärt und seinerseits genüsslich Hermann Kantorowicz zitiert: Die „hyperromantische Rechtstheorie“ vom Volksgeist passe „vielleicht für das innere Australien“, komme für Europa aber „um einige Jahrtausende zu spät“.
Vergeblich wäre Di Fabio Reul mit der Erwägung beigesprungen, dass in postkolonialer Zeit jeder aufgeklärte Europäer den eigenen inneren Australier kultivieren solle, die innere Gegenstimme eines urzeitlichen Konservatismus. Die Verteidiger Savignys, die es unter den Juristen sehr wohl gibt, hätten nicht zugunsten Reuls aussagen können. Denn sie schätzen Savigny als Theoretiker der Autonomie der Rechtswissenschaft, weil die geniale Schöpfung des deutschen Volksgeistes das von Gelehrten verwaltete römische Recht gewesen sein soll – „eine geradezu irrsinnige Behauptung“ (Benjamin Lahusen).
Irrsinn oder nicht: Diese Konzeption lässt jedenfalls keinen Spielraum für Richterschelte im Namen des Volkes. In einem Aufsatz, den Di Fabios Bonner Kollege Ulrich Huber Savignys Lehre von der richterlichen Auslegung der Gesetze widmete, kommt das Volk nicht vor. Der Nichtjurist Reul rief seine eigene, realistische Personifikation des Volksgeistes an, als er über Lügde sagte: „Meine Oma hätte gemerkt, dass da was nicht stimmt.“ Vielleicht war es die Stimme dieser Großmutter, die Reul gerade noch rechtzeitig daran erinnerte, dass Minister schweigen sollten, wenn Gerichte gesprochen haben.