Rechnitz-Massaker : Die Köchin sah die Mörder tanzen
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Traf auf eine Mauer des Schweigens: Dokumentarfilmer Eduard Erne Bild: Michael Hauri
Kürzlich berichtete David Litchfield in der F.A.Z. von seinen Recherchen über das Massaker von Rechnitz. Gestützt werden diese nun von Eduard Erne, der in den Neunzigern einen Dokumentarfilm am Ort der Untat drehte. Ein Interview.
In der vergangenen Woche berichtete der Journalist David Litchfield in der F.A.Z. von seinen Recherchen über das Massaker von Rechnitz. Gestützt werden diese von Eduard Erne, der in den neunziger Jahren einen Dokumentarfilm am Ort der Untat drehte.
Ihr Dokumentarfilm „Totschweigen“ handelt vom Rechnitzer Massaker an hundertachtzig jüdischen Zwangsarbeitern in den letzten Kriegstagen. Was wissen Sie über die Vorfälle jener Nacht?
Der Film begleitet die Suche nach dem Ort des Massengrabes, in dem die Opfer der Nacht des 25. März 1945 verscharrt wurden. Die Suche, initiiert von der Israelitischen Kultusgemeinde, dem österreichischen Innenministerium, der Universität Wien und dem Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge, haben wir über mehrere Jahre begleitet. Unsere Recherchen, die Auswertung der umfangreichen Akten sowie Aussagen von Zeitzeugen ergaben, dass an jenem Tag sechshundert jüdische Zwangsarbeiter mit dem Zug nach Burg bei Rechnitz transportiert wurden. Unter ihnen waren hundertachtzig nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Sie waren zu alt, zu krank, zu entkräftet. Sie wurden aussortiert und mit dem Zug zum Bahnhof nach Rechnitz und von dort mit einem LKW in die Nähe des Kreuzstadels gebracht. Bei der kreuzförmigen Ruine, gelegen inmitten einer Ackerlandschaft, wurden Panzer- und Schützengräben für den Südostwall gegraben. Am frühen Abend des 25. März lagerten die Zwangsarbeiter dort und warteten, was passiert. Parallel dazu wurde von der Familie Batthyány auf ihrem Schloss in Rechnitz ein Fest vorbereitet, ein so genanntes Gefolgschaftsfest.
Wusste man da, was mit den Zwangsarbeitern in der Nacht passieren würde?
Die Verantwortlichen des Massakers werden es gewusst haben. Es gibt die Zeugenaussage einer Frau, die am Bahnhof von Rechnitz einen der Wachmänner fragte, was mit den Juden passieren würde. Er antwortete: „Die erwartet heute noch was, die werden erschossen.“ So steht es in den Akten.
Was passierte dann?
Die Juden sind also am Kreuzstadel und parallel dazu läuft bei den Batthyánys das Fest. Daran teil nimmt die örtliche Parteiprominenz, SS-Männer und viele Hitlerjugendführer. Nach Zeugenaussagen soll bei dem Fest viel Alkohol geflossen sein. Gegen 23 Uhr kommt ein Telefonanruf. Daraufhin bittet der NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Podezin einige Festgäste in einen Nebenraum, wo Waffen ausgeteilt werden. Dann begibt sich die Gruppe in die Nähe des Kreuzstadels und erschießt die Menschen. Zuvor hatten andere Zwangsarbeiter die Gruben ausgehoben, in die die Leute hineingeschossen wurden. Das konnten wir belegen, weil wir einen Überlebenden gefunden haben, der beim Ausheben der Gruben beteiligt war. Er sagt im Film aus, wie er auf dem Rückweg Autos mit Insassen in SS-Uniform sah und kurz darauf die Schüsse hörte.
Welche Rolle spielt die Familie Batthyány?
Eine entscheidende. Das Schloss der Batthyánys beherbergte die Logistik der Bauarbeiten am Südostwall. Hier befanden sich die Büros der Bauabschnittsleitung, in den Stallungen waren die Zwangsarbeiter elend untergebracht. Und die Batthyánys waren am Abend des Massakers Gastgebers jenes Festes, von dem die Täter losgezogen sind.
Die Köchin der Familie Batthyány erzählt im Film von dem Fest.
Sie war in der Küche und hat die Szenerie von dort beobachtet. Wie getanzt wurde, wie getrunken wurde, und sie hat beobachtet, wie die Gruppe um Mitternacht das Fest verließ. Am nächsten Tag, sagt sie, sei im Schloss ein Berg Kleider abgeladen worden.
Das heißt doch, dass auch Gräfin Batthyány von der Erschießung gewusst haben musste.
Wenn man mit klarem Kopf auf die Ereignisse der Nacht blickt, kann es nicht anders sein, als dass sie gewusst hat, was passieren wird.
Eine Frau aus Rechnitz beschreibt im Film, dass die Schreie der Sterbenden so laut waren, dass man sie überall im Ort hörte, selbst wenn man alle Fenster schloss und sich die Ohren zuhielt.
So ist es. So beschreibt sie es im Film.
Sie haben auch mit der Zofe der Gräfin gesprochen.
Die Zofe lebte mit der Gräfin auf dem Schloss und flüchtete dann gemeinsam mit ihr und dem Gutsverwalter Oldenburg; erst nach Vorarlberg, dann in die Schweiz. In Vorarlberg gab es, beschreibt sie, auch Treffen zwischen Franz Podezin und der Gräfin, bei denen es zu lautstarken Auseinandersetzungen kam; so steht es auch in den Prozessakten. Dort ist ebenfalls ersichtlich, dass Podezin später versuchte, die Gräfin zu erpressen.
Er wolle auspacken über Ihre Mittäterschaft, wenn sie ihm nicht mit Geld zur Flucht verhelfe.
So ist es. Interessant dabei ist, dass Podezin - neben Oldenburg einer der Hauptangeklagten beim Prozess - unbescholten bis 1963 in Kiel als Versicherungsangestellter lebte. Als er von Ermittlungen gegen erfuhr, floh er nach Südafrika. Auf die Spur von Podezin in Südafrika sind wir übrigens gekommen, weil uns ein Gastwirt in Rechnitz erzählte, der Graf, also Margit Batthyàny-Thyssens Mann, habe ihn vor einiger Zeit in Südafrika „getroffen“. Es gab also noch lange nach dem Krieg Kontakte zwischen den Batthyánys und den Haupttätern. In zwei Tagen hatten wir herausgefunden, dass die Angaben des Wirts stimmten. Podezin war in Südafrika gemeldet und hat dort, obwohl in Deutschland nach ihm gesucht wurde, von der deutschen Botschaft einen neuen Führerschein bekommen.
Sie selbst sind dann nach Südafrika gereist. Haben Sie Podezin gefunden?
Wir haben nur einen Freund von ihm angetroffen, bei dem er gewohnt hat. Der sagte, Podezin sei mit dem Wohnwagen unterwegs. Für eine aufwendige Suchaktion in Südafrika hatten wir dann einfach kein Geld mehr.
Aber Sie haben die Kieler Staatsanwaltschaft informiert.
Richtig, doch es geschah nichts. Man gab uns zu verstehen, dass es besser sei, keinen Strafprozess in Gang zu setzen, wenn Zeugen verstorben oder Tatumstände schwer zu beweisen seien; man würde nur einen Freispruch riskieren.
Am Massaker haben nicht nur ortsfremde SS-Leute mitgewirkt, sondern auch Rechnitzer?
Vieles deutet darauf hin, obwohl es im Ort gern anders dargestellt wird. Einige der später Angeklagten wohnten in der Nähe, und auch Führer der Hitlerjugend waren beteiligt, die damals so jung waren, dass einige vielleicht noch leben.
Welche Rolle hatte Margit Batthyàny?
Nun, sie war die Besitzerin des Schosses, die Gastgeberin des Festes. Sie hat ganz offensichtlich mit den Nationalsozialisten eng kollaboriert. Es gab immer Stimmen in Rechnitz, die behaupteten, sie sei dabei gewesen. Einige meinten auch, sie habe selber geschossen. Es gibt Gerüchte, Erpressungsversuche, aber keine Beweise. Aus meiner Warte ist das auch nur teilweise interessant. Das Verschweigen der Tat, das ist der Skandal, und natürlich die Kollaboration der Batthyánys.
Nach Angaben des Simon-Wiesenthal-Zentrums bot sich Gräfin Batthyány der Staatsanwaltschaft Dortmund im Juni 1963 als Zeugin an. Ist für Sie die Frage nach der Beteiligung der Gräfin legitim?
Absolut. Sie hat das Fest organisiert, sie war anwesend, ohne Zweifel.
Weiß man, wer in der Nacht auf dem Schloss anrief?
Nein. Die Gauleitung? Eine andere Bauabschnittsleitung? Das bleibt Spekulation. Aber der Anruf lässt vermuten, dass das Massaker nicht aus einer Partylaune entstand, sondern angeordnet wurde.
Haben Sie Hinweise, dass die Batthyánys später versuchten, ihre Beteiligung zu verschleiern, oder die Tat an sich?
Allein die Tatsache, dass die beiden Hauptangeklagten Oldenburg und Podezin mit Hilfe der Batthyánys fliehen konnten, belegt, wie groß das Interesse der Familie war, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Es war eine offenes Geheimnis, dass die Gräfin ein Verhältnis hatte mit Oldenburg. Und Oldenburg war als Gutsverwalter an der Errichtung des Südostwalls beteiligt. Die Batthyànys haben sich schuldig gemacht.
Wodurch unterscheidet sich Rechnitz von anderen Verbrechen aus jener Zeit?
Schon allein durch die Zahl der Opfer. Hundertachtzig Menschen auf einmal zu erschießen, das ist schon sehr viel. Es kam am gesamten Südostwall immer wieder zu Erschießungen, aber was in Rechnitz geschah, hat ein anderes Ausmaß. Die Geschehnisse in jener Nacht, ebenso wie die Zwangsarbeiter, die in den folgenden Tagen auf die Todesmärsche durch die Dörfer Richtung Mauthausen geschickt wurden - das war die Shoa vor den Augen der österreichischen Zivilbevölkerung. Sie fand nicht in irgendwelchen fernen Lagern statt, sondern vor der eigenen Haustür. Man konnte es sehen, wurde Zeuge, jeden Tag. Auch in Rechnitz. Denn der Weg zum Bahnhof führt dort vorbei, wo gegraben wurde, wo in jener Nacht die Zwangsarbeiter erschossen worden waren. Deshalb war es für uns unbegreiflich, dass nach dem Krieg plötzlich niemand in Rechnitz wissen wollte, wo die Toten verscharrt wurden.
„Totschweigen“ heißt Ihr Film, weil Sie in Rechnitz auf eine Mauer des Schweigens gestoßen sind.
Anfangs dachten wir: Man muss nur mit den Menschen in Rechnitz reden und dann werden sie sagen, was passiert ist. Aber wir stellten fest, dass sie absolut gemauert haben. Sie redeten zwar über jene Nacht, wie sie die Schüsse gehört haben, die Schreie der Sterbenden, aber sie verschwiegen die Details: Wo die Erschießung stattgefunden hat, wo die Menschen verscharrt wurden. Das war grotesk, diese Form des geschwätzigen Verschweigens, ein sehr österreichisches Phänomen. Einer sagt im Film: „Die Juden haben eine Klagemauer, wir haben eine Schweigemauer.“
Haben Sie je mit der Familie Batthyàny Kontakt aufgenommen?
Nein, sie stand nicht im Zentrum unseres Interesses. Uns war klar, dass die nicht offen reden werden. Graf und Gräfin waren damals schon tot. Wir suchten nach Zeugen, die bereit waren, auszusagen, die uns den Ort des Massengrabes zeigen, oder Überlebende, die uns erzählen würden, was damals passiert ist. Wir wollten herausfinden, was in einem Ort geschieht, wenn solch ein Verbrechen passiert. Wie weit sind die Leute bereit, darüber zu reden? Aber der Einfluss der Batthyánys hielt lange an. Die älteren Leute haben früher nie von „den Batthyánys“, oder von „Margit“ gesprochen, sondern immer nur von „der Herrschaft“. Typisch. Sie waren im Burgenland bis 1945 Großgrundbesitzer. Und die einfachen Leute standen in direkter Abhängigkeit zu ihnen. Auch darf man das Klima der Angst in Rechnitz nicht vergessen. Zwei Hauptzeugen des Massakers wurden während der Ermittlungen ermordet, ein SA-Mann, der die Waffen verteilte, und ein überlebender Zwangsarbeiter auf dem Weg zu einem Lokalaugenschein.
Während Ihrer Dreharbeiten wurde der jüdische Friedhof in Rechnitz geschändet.
Grabsteine wurden umgestoßen und mit Hassparolen besprüht, just zu dem Zeitpunkt, als mit der Suche nach dem Massengrab begonnen wurde.
Was halten Sie von Äußerungen des Antisemitismusforschers Wolfgang Benz, der das Verbrechen in Frage gestellt hat?
Das erschüttert mich. Dieses Ereignis hat stattgefunden. Daran gibt es keinen Zweifel, es gehört zu den am besten dokumentierten Verbrechen aus dieser Endzeit.
Wird nach dem Grab noch gesucht?
Erst im vorigen Jahr fanden wieder Grabungen statt. Es gibt immer neue Hinweise. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Landschaft völlig neu gestaltet wurde.
Welche Rolle spielt Rechnitz heute?
Die Geschichte von Rechnitz ist wie eine Metapher. Deshalb haben wir den Film gemacht. Da ist das Bild der Landschaft, in der irgendwo hundertachtzig Menschen brutal hingerichtet und verscharrt wurden. Die Landschaft wird markiert von einem Bauwerk, dessen Grundriss ein Kreuz darstellt. Und dann wächst überall Gras darüber, niemand will etwas wissen davon und schweigt.