Re:publica in Berlin : Bitte loslieben!
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Fliehkräfte: Die „re:publica“ wird immer größer, doch ein Generalthema soll sie zusammenhalten. Bild: EPA
Die Netzkonferenz „re:publica“ wird immer gigantischer. Doch nicht nur mit dem Slogan „Love out loud“ will sie den anarchischen Gründungsgeist bewahren. Ihr großes Thema ist der Hass im Netz.
Erwachsen werden wolle die Republica nie, rief Tanja Haeusler dem Publikum zur Eröffnung zu. Die Empörung über das, was schiefläuft, der Wille, etwas zu verändern, die Überzeugung, es schon zu schaffen, gemeinsam: Es ist der Tonfall jugendlichen Aufbegehrens, den die Mitbegründerin der Netzkonferenz anschlägt, und auch im elften Jahr trifft dieser Ton auf dankbare Ohren.
Auch wenn inzwischen Unternehmen wie Daimler zu den Hauptsponsoren der Veranstaltung gehören, auch wenn Konzerne wie Google ihren Stand im Messebereich der Eingangshalle der Station in Berlin bezogen haben, selbst mit diesmal mehr als tausendeinhundert Sprechern und über fünftausendfünfhundert Podiumsdiskussionen, Vorträgen, Vorführungen und Workshops wird die Veranstaltung von einem Idealismus getragen, der Mitgestaltungs- und Mitsprachewillen mit technischem Verständnis und einer Ahnung dessen verbindet, was der Gesellschaft an Veränderung im Zuge der Digitalisierung bevorsteht.
Um so erwachsener allerdings klingt das, was die Veranstalter ihrem aus allen Nähten platzenden Gemischtwarenevent in diesem Jahr auf die Fahnen geschrieben haben: So hemdsärmelig-harmlos-bunt das Motto „Love Out Loud“ auch klingen mag, hinter ihm steht nichts weniger als der Aufruf zu digitaler Zivilcourage. Um den Umgang mit dem Hass im Netz soll es bei der noch bis Mittwoch gehenden Konferenz ebenso gehen wie um Fake News, um Presse- und Meinungsfreiheit und die Verfolgung regimekritischer Journalisten und Aktivisten. Nach dem stolzen Hinweis, die Veranstalter hätten ihr Ziel, ebenso viele Frauen wie Männer auf die Bühnen zu bringen, nur um drei Prozent verfehlt, und einem Grußwort des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), der die Herausforderung benannte, die technischen Möglichkeiten mit gesellschaftlichen Werten in Einklang zu halten, gehörte die Bühne in ihren Heimatländern Verfolgten, die von persönlichen Erlebnissen mit staatlicher Repression berichteten.
Can Dündar, ehemals Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, zeigte Bilder aus dem Gefängnis, in dem er nach einer Enthüllungsstory über geheime Waffenlieferungen inhaftiert war. Jetzt sitzen dort Kollegen, die sich für seine Freiheit eingesetzt, und die Richter, die seine Freilassung schließlich veranlasst hatten. In seinem Land sei Pressefreiheit „eine Utopie, für die wir kämpfen müssen“.
Der ägyptische Netzaktivist Ramy Raoof erzählte von dem Tag, an dem sein Mobilfunkanbieter ihm sagte, er stehe auf einer staatlichen Liste mit Regimekritikern, deren Smartphones gestört werden sollten. Márton Gergely, der stellvertretende Chefredakteur der eingestellten ungarischen Oppositionszeitung „Népszabadság“, schilderte die über fünfzehn Jahre währende Entwicklung, in der die Medien in seinem Land die Bedrohung zu spät erkannt und sich auf politische Grabenkämpfe eingelassen hätten, anstatt Neutralität und Solidarität miteinander zu bewahren.