Wie plötzlich alle zu Philosophen wurden
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Ein Fall von Missbrauch: Ein Arendt-Transparent auf einer Kundgebung der sogenannten Querdenker-Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin Bild: ullstein bild
In der Pandemie berufen sich alle möglichen gesellschaftlichen und politischen Gruppen auf die Freiheit. Und gerne auf Hannah Arendt. Das ist ein großes Missverständnis.
Als ein guter Freund mich vor wenigen Tagen auf die Zeilen „Eine Welle der Verachtung / Brandet tosend im Abendrot. / Eine Fontäne der Verzweiflung / Speit zornige Parolen. / Im Krater der Gesellschaft / Brodelt die Wut“ hinwies, dachte ich nicht gleich an Max Goldts Band Foyer des Artes und ihren Song „Schimmeliges Brot“, aus dem die Verse stammen. Ich dachte zunächst vielmehr daran, dass in ihnen sehr gut getroffen ist, was auf den Demonstrationen von Corona-Leugnern, sogenannten Querdenkern, aber auch in zahlreichen politischen Statements von weit rechts bis in die Mitte der Parteienlandschaft hinein vorherrscht. Nämlich eine sich nur noch selten zivilisiert artikulierende Verlusterfahrung: Man nahm und nimmt ihnen das Wichtigste, die Freiheit. An ihre Stelle ist ein Regime getreten, das nur noch die Sprache der Verbote und Strafen kennt. Die Unversehrtheit des Körpers, die Selbstbestimmung, die Bewegungsfreiheit, alles das soll einem genommen werden, alles weg.
Doch wie ist das mit der Freiheit? „Wirkliche Freiheit gibt es ohne echte Verpflichtungen nicht. Absolute Freiheit gibt es nur in der Anarchie, und das beweist nun in der Tat, daß die Freiheit verlorengeht, wenn die das Verhalten regulierenden Gesetze ihre Fähigkeit zur Kontrolle verlieren.“ Diese ebenso simple wie richtige Beobachtung findet sich in dem letzten Werk des 1947 im Londoner Exil gestorbenen Soziologen Karl Mannheim. Genauer: in seinem nicht mehr abgeschlossenen Werk „Freedom, Power and Democratic Planning“ von 1951, das nur in einer verstümmelten Fassung unter dem Titel „Freiheit und geplante Demokratie“ auf Deutsch erschienen ist.
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