Gendergerechte Sprache : Sagen Sie bitte Profx. zu mir
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Lann Hornscheidt hat eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität Berlin Bild: Andreas Pein
Lann Hornscheidt hat eine Professur für Gender Studies, möchte gerne geschlechtsneutral angesprochen werden und liefert einen Vorschlag. Die Empörung, die Hornscheidt in den sozialen Medien entgegenschlägt, ist gigantisch.
In der vorvergangenen Woche wurde bei Facebook ein Screenshot geteilt, der den Eintrag Lann Hornscheidts auf der Website der Berliner Humboldt-Universität zeigt, wo Lann Hornscheidt eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse hat. Der Screenshot enthält ein Foto von Hornscheidt, außerdem ist ihm zu entnehmen, dass Hornscheidt darum bittet, in Mails nicht mit Frau oder Herr Hornscheidt angeschrieben zu werden, auch Anreden wie „Liebe“ beziehungsweise „Lieber“, also alles, was Hornscheidt einem bestimmten Geschlecht zuordnet, solle vermieden werden. Stattdessen wünscht Hornscheidt sich, dass Mails mit Anreden wie „Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt“ beginnen. Der Grund dafür, erfährt man, wenn man ein bisschen googelt, ist, dass Hornscheidt sich weder als Mann noch als Frau fühlt, es dafür aber im Deutschen keine Form gibt, weswegen dieser Artikel echt nicht leicht zu schreiben ist.
Ist das nun Hornscheidts Schuld oder ein Mangel der deutschen Sprache?
Hornscheidt jedenfalls hat gemeinsam mit der Arbeitsgruppe „Feministisch Sprachhandeln“ der Humboldt-Universität einen Vorschlag entwickelt, bei dem alles, was eine männliche/weibliche Zugehörigkeit ausdrückt, durch ein x ersetzt wird. Zum Beispiel: „Liebx Professx“. Natürlich ist dieser Ansatz erst mal befremdlich und ja, vielleicht auch ein bisschen lustig. Die Reaktionen auf Facebook aber sind es überhaupt nicht. Der Screenshot wurde 758 Mal geteilt, und die Kommentare dazu sind unglaublich.
Das rechte Milieu flippt völlig aus
Die Leute schreiben über Hornscheidts Aussehen, das sie offenkundig völlig aus der Bahn wirft. Ein Mensch, der weder wie ein Mann noch wie eine Frau aussieht, das darf einfach nicht sein! Ein aufgebrachter Facebook-Leser empfiehlt zum Beispiel, Hornscheidt einschläfern zu lassen. „Wir haben andere Probleme als diesen sinnlosen Genderwahnsinn“, beziehungsweise die „Genderseuche“; „DAS meint das wirklich ernst?“, „abartige Gedanken“, „einfach nur geisteskrank“, und natürlich denkt man beim Lesen dieser offensichtlich am gesunden Volkskörper sehr interessierten Kommentare, man sei nicht im Jahr 2014, sondern in den späten Dreißigern des letzten Jahrhunderts. Weiter: Gender sei „ein Luxusproblem einer verblödeten Gesellschaft“, überhaupt hätten sich die Intellektuellen, ebenso wie auch bald die Universitäten, in Deutschland erübrigt, was das deutsche Volk jedoch erst einsehen könne, wenn es endlich aufwache. Der beliebteste Kampfeinwand gegen Hornscheidts Arbeit ist jedoch, dass diese von Steuern bezahlt werde. Außerdem: Es gebe ja wohl wichtigere Probleme!
Als der Leitfaden im Frühjahr 2014 erschien, bekam Hornscheidt Morddrohungen, Schlachtungsphantasien und Vergewaltigungsabsichten geschickt. Man müsse Hornscheidt eben nur mal richtig rannehmen, dann falle Hornscheidt auch wieder das Geschlecht ein. Betrachtet man die Herkunft dieser Kommentare, stellt man fest, was auf der Hand liegt: Das rechte Milieu flippt völlig aus, und deswegen ist es nur folgerichtig, dass es der superrechten „Jungen Freiheit“ extrem viel Freude macht, sich mit Hornscheidt zu befassen.
Ein Oben und Unten in der Gesellschaft
Facebook-Kommentatoren sehen Hornscheidts Arbeit zudem als Beweis für den „linken Terror“, als Maßnahme der Euro-Diktatur, und dann ist man mit zwei Sätzen ganz schnell bei den Mainstream-Medien angelangt, die allesamt lügen würden, „den“ Politikern, die das Gleiche tun, und den Universitäten, die auch zu nichts mehr zu gebrauchen sind (wobei man dazusagen muss, dass eben jene Pauschalurteile genauso von ganz linker Seite kommen). Insofern bestätigen die Reaktionen auf die Veröffentlichung des Screenshots bei Facebook nur noch einmal auf sehr schreckliche Weise, was Germany bereits mit dem medienverschwörerischen Udo-Ulfkotte-Buch „Gekaufte Journalisten“ (derzeit auf Platz sechs der „Spiegel“-Bestsellerliste) sehr deutlich und in-your-face-mäßig gesagt wurde: In diesem Land sitzt eine Menge Menschen vor den Computern, und diese misstrauen so ziemlich allem, was für die Integrität eines Landes wichtig ist. Also den Politikern, den Medien, den Intellektuellen.
Und natürlich wird an dieser Feststellung und an der Position, aus der heraus sie formuliert wird, ebenso deutlich, wie sehr es ein Oben und Unten gibt in dieser Gesellschaft, was den Schluss nahelegt, dass jene, die ausrasten, wenn sie das Bild eines Menschen sehen, den sie nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können und der dies auch überhaupt nicht will (und dazu noch eine Professur hat, die aus Steuergeldern finanziert wird) - dass also jene, die angesichts eines solchen Bildes die Nerven verlieren, zwischen sich und dem „Oben“ eine große Distanz spüren. Außerdem ist es in diesem Land ja schon unsicher genug (Rente, Flughafen BER, und wenn das hier so weitergeht, dürfen die Homosexuellen auch noch heiraten), da müssen wenigstens die Geschlechter eindeutig bleiben.
Eine Quote für die Müllabfuhr
Es ist selbstverständlich sehr einfach und naheliegend, sich über diese eben umrissene Mentalität lustig zu machen, aber es ist natürlich überhaupt keine gute Idee, weil es die Verhältnisse nur fortschreibt. Was aber soll man tun? Stammtische besuchen, Leute von der AfD umarmen? Und wo sind überhaupt all die Menschen, die sich derart betrogen fühlen? Und sind es wirklich nur diejenigen, die die „Junge Freiheit“ lesen, Putin verstehen können oder die Junge Alternative toll finden?
Zumindest wenn man das Posting des Screenshots von Lann Hornscheidts Humboldt-Seite als Beispiel nimmt, entsteht ein anderes Bild. Der „Welt“-Journalist Ulf Poschardt etwa postete den Screenshot und schrieb dazu: „wysiwyg“, was „What you see is what you get“ bedeutet und sich wohl auf das Foto Lann Hornscheidts bezieht. Vermutlich war es Poschardts Absicht, einen Zusammenhang zwischen Hornscheidts Aussehen und den Ergebnissen von Hornscheidts Arbeit herzustellen. Ulf Poschardt hat sehr viele Journalistenfreunde, und so kann man sehr genau sehen, wem Poschardts Posting gefallen hat. Journalisten, die für die F.A.Z., den „Freitag“, die „Süddeutsche Zeitung“ und das „Neon“-Magazin schreiben. Der Autor Ralf Bönt etwa, der auch im Feuilleton dieser Zeitung hin und wieder veröffentlicht, kommentierte das Posting, indem er eine Quote für die Müllabfuhr forderte.
Milieuspezifische Stammtischreaktionen?
Warum aber postet man Beiträge, die mit Sicherheit alle bekannten Ressentiments aufrufen werden? Liest man sich dann die 134 Kommentare auf Poschardts Seite zu dem Thema durch, merkt man schnell, dass sich die Diskussion inhaltlich wenig von den oben bereits umrissenen Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Kommentaren unterscheidet. Abgesehen von vielleicht acht Diskutanten, die Lann Hornscheidt verteidigen, drehen die Kommentatoren völlig durch.
Ein (total unbekannter) Fernsehjournalist etwa stellt folgende Frage: „Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es Lann ankotzt, wenn sie mal zum Frauenarzt muss.“ Ein Anwalt findet: „Schlimm, dass sich so Opferwesen selbst zu würdelosen Zirkusattraktionen herabstilisieren.“ Und man könnte also auf die Idee kommen, dass die hasserfüllten Stammtischreaktionen auf einen Menschen, der anders ist und damit offensiv umgeht, keine milieuspezifischen sind, zumindest, wenn sie bei Facebook veröffentlicht werden.
Der gute alte Hass auf das Andere
Die Praxis, Facebook-Kommentare zu veröffentlichen (die jedoch für jeden, der bei Facebook ist, sichtbar sind), kann man zweifelhaft finden, aber es geht hier nicht darum, Leute zu verpetzen, es geht darum, etwas sichtbar zu machen. Eine bestimmte Erregungslogik, die offenbar überall einsetzt, wenn bestimmte Knöpfe gedrückt werden. Denn natürlich sind die Menschen, die zu dem Hornscheidt-Screenshot komisches Zeug geschrieben haben, nicht allesamt Vollidioten, und natürlich sind wir alle vollgestopft mit rassistischen und sexistischen Ressentiments.
Ist die Ursache für das unreflektierte Raushauen in diesem Fall tatsächlich der Ort, also das Internet? Spielt die Tatsache, dass es heute ziemlich angesagt ist, ein bisschen politisch inkorrekt zu sein, eine Rolle? Sich also nicht so zu haben und sich gegen den sogenannten Mainstream zu positionieren? Generiert man dadurch Distinktionsgewinn, und verbindet sich dieser Wille zur Selbstdarstellung an dieser Stelle vielleicht einfach mit dem alten Klischee-Witz über Feministinnen, die jede Sinnlichkeit für Gewalt halten? Oder ist es schlicht der gute alte Hass auf das Andere, das in diesem Fall auch noch einen gesellschaftlich hohen Status hat?
Es gehe nicht darum Geschlechter abzuschaffen
Dass der Hass von überall kommt, bestätigt Hornscheidt im Gespräch. Zwar kämen die wütenden Mails vielfach aus einem rechten Milieu, wobei Hornscheidt klar geworden sei, wie stark dieser Hass mit der Angst um Deutschland, mit Nationalismus verbunden sei. Frauen und Männer, stehe in solchen Mails, seien die natürliche Grundlage Deutschlands, und die, glaubten die Verfasser, wäre durch Menschen wie Hornscheidt, die auch noch eine statushohe Position hätten, bedroht. Hornscheidt bekäme jedoch auch Mails aus dem akademischen Umfeld, die sich inhaltlich nicht von den rechten Mails unterscheiden würden. „Das sind also nicht nur Nazis, sondern auch Leute, die hier an der Uni arbeiten“, erzählt Hornscheidt. „Die erklären mir dann, warum es genetisch nur Frauen und Männer gibt. Das hätte ich nicht erwartet.“
Im Gespräch betont Hornscheidt immer wieder, dass es sich bei der x-Form doch nur um einen Vorschlag handele. „Ich hänge aber nicht an der x-Form. Wenn andere Leute andere Vorschläge haben, freue ich mich darüber. Ich teile auch viele Kritikpunkte, zum Beispiel, dass diese Form nicht schön ist.“ Es müsse jedoch möglich sein, dass Menschen, die sich nicht als Männer oder Frauen fühlen, dies sprachlich ausdrücken können. Hornscheidt betont außerdem, dass es überhaupt nicht darum gehe, Geschlechter abzuschaffen. „Ich halte das weder für sinnvoll, noch steht es in meiner Macht. Aber natürlich fordert es Menschen heraus, wenn sie lernen, dass es auch noch etwas anderes als Frauen und Männer gibt. Ich verstehe auch, dass sie das erschreckt. Aber das kann doch auch spannend sein. Für mich fehlt dieser Gesellschaft die Bereitschaft, Differenzen stehen zu lassen“.
Genau das tut Hornscheidt während des Gesprächs. Man merkt, dass Hornscheidt Zeit hat zu denken, was doch eigentlich mal die Hauptaufgabe von steuerfinanzierten Universitäten war. Jedenfalls habe ich noch nie mit einem Menschen entspannter und offener über Feminismus reden können. Denn anders als viele Stimmen im breiten feministischen Diskurs ist Hornscheidt nicht besessen davon, festzulegen, was richtig ist. Und es wäre phantastisch, würde diese Perspektive häufiger gehört werden.