Präimplantationsdiagnostik : Die offene Grenze
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Lässt sich die Präimplantantinosdiagnostik, einmal in Gang gebracht, noch begrenzen? Bild: dpa
Mancher Politiker würde die Grenzziehung in der Präimplantationsdiagnostik gern Ethikkommissionen überlassen. Doch die Entscheidung über die PID muss da bleiben, wo sie hingehört: im Parlament.
Was für ein frecher Satz im Dienste der Aufklärung: „Es geht jetzt nicht um Ethik, wie Frau Merkel glauben machen will.“ Der Mann, der hier die Ethik abmeiert, ist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, und er meiert sie ab, weil sie sich im gerade diskutierten Fall, der Kernenergiefrage, als politische Ablenkung vom Sachverstand entpuppt. Man komme Gabriel nicht mit Ethikkommissionen – „schon der Name ist eine Unverschämtheit“ –, wenn es in Wirklichkeit um „harte Entscheidungen“ geht – also um eine Hierarchisierung von Kriterien, um das zähe Aushandeln der Energiewende: Welches Risiko, welche Kosten sollen getragen werden, um ein anderes Risiko, andere Kosten nicht tragen zu müssen? Der verstrahlte Müll beispielsweise lässt sich nicht ins Jenseits einer Ethik auslagern. Dann, so Gabriel, schon eher diesseits von Gorleben – in Bayern, warum eigentlich nicht? – nach Endlagern suchen.
Vom Abschieben in die Ethik ist auch das Thema der Präimplantationsdiagnostik (PID) bedroht, über das morgen im Bundestag abermals debattiert werden soll. Auch da geht es jetzt nicht um Ethik, wie Herr Hintze glauben machen will. Sondern um Sachfragen der Technikfolgenabschätzung wie etwa jene, über die Befürworter und Gegner einer begrenzten Zulassung der PID debattieren: ob sich die PID, ist sie erst legalisiert, überhaupt in Grenzen halten lässt. Zu dieser Frage führte Ulla Schmidt, die frühere SPD-Gesundheitsministerin und strikte PID-Gegnerin, mit Peter Hintze, als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ein PID-Vorkämpfer, in der „Süddeutschen Zeitung“ ein aufschlussreiches Streitgespräch. Um es kurz zu machen: Hintze führt die Rhetorik der Grenze im Mund, sieht aber selbst, dass es à la longue solche Grenzen nicht geben kann, und lagert die leidige Grenzfrage deshalb in Ethikkommissionen aus.
Ethik des Konflikts
Hintze macht erst gar nicht den Versuch, eine Liste von medizinischen Gründen anzugeben, die eine PID rechtfertigen würden. Er weiß, dass etwa in Großbritannien, wo eine Kontrollbehörde darüber entscheidet, welche medizinischen Gründe für die Durchführung einer PID anerkannt werden, 130 Krankheiten als PID-tauglich zugelassen sind – und die Liste nach oben offen ist. Statt sich an der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer konkreten Kriteriologie abzuarbeiten, weicht Hintze in eine Ethik des „Konflikts“ aus, in der die Grenze eine bewegliche Variable der PID-Technik ist: „Eine Ethikkommission entscheidet dann nach einer Beratung der Eltern über den speziellen Fall.“ Und: „Die Ethikkommission stellt die Schwere des Konflikts fest. Das ist ihre Aufgabe.“ Hier bekommt die Ethikkommission die Rolle eines Ersatzparlaments zugewiesen, dem Parlament selbst soll die Sisyphusarbeit einer Kriterienliste erst gar nicht zugemutet werden. Statt dessen geht es um die psychologische Auslotung einer „Schwere des Konflikts“, der vor den Ethikern darzulegen ist, damit die Kommission am Ende ihr Urteil spricht.
Um welchen Konflikt geht es näherhin? Auf die Frage „Drücken Sie sich nicht um die Festlegung einer Grenze, indem Sie eine Kommission entscheiden lassen?“ antwortet Hintze: „Wir wollen für Eltern eine Möglichkeit schaffen, aus der schlimmen Situation einer möglichen Spätabtreibung herauszukommen. Der Konflikt ist hier die Leitlinie.“ Wie Ulla Schmidt hat kürzlich auch der frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde die Vergleichbarkeit von Abtreibungsregelung und PID verneint und vor einer manipulativen Verwendung der Konflikt-Vokabel gewarnt (Einspruch im Namen der Menschenwürde: ein Plädoyer gegen die PID). Bei der PID, so Böckenförde, gehe es gar „nicht um einen vorhandenen Konflikt, vielmehr wird durch die In-vitro-Fertilisation mit PID ein möglicher Konflikt erst bewusst geschaffen und dann antizipiert, indem eine Zeugung auf Probe geplant und durchgeführt wird. Und die Entscheidung fällt nicht konkret für oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft, sondern abstrakt im Wege selektiver Aussonderung unter verschiedenen Embryonen.“
Das Parlament als richtiger Ort des Verfahrens
Ulla Schmidt lässt Hintze das suggestive Aufrufen der Konflikt-, ja Traumavokabeln jedenfalls nicht durchgehen. „Wie schwer muss ein Leiden denn für Ihre Ethikkommission sein, Herr Hintze?“, will sie wissen. „In Großbritannien ist die PID sogar Trägern eines Brustkrebsgens erlaubt, welches mit 50 bis 85 Prozent zu schwerem Brustkrebs führt. Ein Teil der Träger bleibt aber gesund. Legitimiert schon ein solches Krankheitsrisiko die Selektion? Mich hat erschreckt, dass Ärzte dazu sagen: Unser Ziel ist es, gesunde Menschen zur Welt zu bringen.“ Der Schrecken gründet in dem nicht ausgesprochenen Umkehrschluss des Satzes.
Die Entscheidung über die PID ist da, wo sie hingehört: im Parlament. Eine nachholende Entpolitisierung, wie Hintze sie in der PID-Frage faktisch anstrebt, indem er Ethikkommissionen ermächtigt und im Übrigen „Vertrauen in die Menschen“ hat, fällt hinter den Stand des Verfahrens zurück. Gleich welche inhaltliche Position die Parlamentarier zur PID vertreten: Sie sollten auf der Hut sein, wenn morgen im Bundestag wieder jemand von Ethik spricht.