Populärer Präsident? : Der tiefe Schlummer von Putins Opposition
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Wladimir Putin nimmt die Parade ab Bild: Reuters
Der Rückhalt des russischen Präsidenten in der Bevölkerung gilt als überwältigend groß - aber ist er auch belastbar? Ein früherer Direktor des größten russischen Meinungsforschungszentrums berichtet.
Wie stabil ist die Popularität Putins? Und wie geschlossen steht die russische Gesellschaft hinter ihm? Ist seine Politik als eine Antwort auf die Erwartungen der Wähler zu verstehen, oder ist die öffentliche Meinung vielmehr das Ergebnis einer Manipulation durch regierungstreue Medien? Die Antworten auf diese Fragen sind nötig, will man das Wesen und die Perspektive des Putin-Regimes verstehen und die Gefahr einschätzen, die es für die Welt darstellen könnte.
Laut jüngsten Umfragen vertrauen Putin 83 Prozent der Bevölkerung. Das sind die Angaben des Lewada-Meinungsforschungszentrums, andere Institute liefern ähnliche Zahlen. Nach ihren Angaben lehnen weniger als zwanzig Prozent der Befragten die Politik Putins offen ab. Diese totale Unterstützung des „Führers der Nation“ (so der offizielle Terminus für den Staatschef) ist charakteristisch für viele diktatorische Regimes. Doch als wie zuverlässig würde sich diese Loyalität im Fall einer Krise, militärischer Niederlagen oder eines Kontrollverlustes erweisen? In der Geschichte gab es sowohl Beispiele für populäre Diktaturen, die beim ersten Misserfolg wie ein Kartenhaus in sich zusammenfielen, aber auch Fälle, in denen das Volk, ungeachtet aller Probleme, dem Diktator bis zum bitteren Ende die Treue hielt.
Objekt der Information
Ich war einer der Direktoren des größten russischen Meinungsforschungszentrums, weiß also genau, wie in Russland Umfragen gemacht werden. Und ich kann darum behaupten, dass die Unterstützung des Putin-Regimes durch die Bevölkerung stark überschätzt wird. Das heißt nicht, dass die Soziologen den Machthabern zuliebe lügen würden. Der Punkt ist, dass Menschen in einem autoritären Staat auch den Soziologen nicht immer die Wahrheit sagen. Häufig antworten die Interviewten in den Umfragen nicht unbedingt so, wie sie denken, sondern so, wie sie es ideologisch für „richtig“ halten. Ein Meinungsforschungszentrum ist für sie keine vertrauenswürdige Institution, und viele ziehen es darum vor, Loyalität gegenüber den Machthabern zu bekunden.
Die Unterstützung der Machthaber durch die Bevölkerung ist in Russland von einer eher passiven, man könnte sagen hinnehmenden Natur. Ein Beleg dafür ist, dass sich die russische Bevölkerung nur äußerst ungern an Pro-Regierungs-Aktionen beteiligt. Um die Zustimmung der Massen vorzugaukeln, sehen sich die Machthaber gezwungen, Teilnehmer solcher Veranstaltungen zu bezahlen oder Studenten und Beamte zur Teilnahme zu verpflichten.
Der russische Durchschnittsmensch ist kein Subjekt, sondern ein Objekt der Information. Es gab Zeiten, als noch jedem gedruckten Wort bedingungslos geglaubt wurde, heute hat das Fernsehen diesen Platz eingenommen. Auf die wichtigsten Fernsehkanäle hat der Staat Zugriff, daher nehmen Russen bei den meisten Fragen automatisch den offiziellen Standpunkt ein. Wie ein russischer Satiriker des neunzehnten Jahrhunderts schrieb: „Viele Menschen sind wie Würste: Womit man sie füllt, das tragen sie dann in sich.“
Die Illusion des Imperiums
Schaut man sich die Umfrage-Ergebnisse genauer an, wird deutlich, dass die Loyalität der Mehrheit, der passiven Putin-Unterstützer, so sicher gar nicht ist. Die meisten Russen nehmen die Routinepropaganda der Regierung zwar unkritisch auf und verschwenden keine Zeit damit, nach der Wahrheit zu suchen. Sie haben jedoch ihre festen politischen Vorlieben. Im Laufe der Zeit haben sich in den Umfragen zwei Ideen herauskristallisiert, die in Russland am populärsten sind. Einerseits ist den Menschen die Idee von Russland als einer starken Großmacht, die „in der ganzen Welt geachtet wird“, sehr wichtig. Andererseits imponieren Werte wie soziale Gleichheit und Gerechtigkeit. Dabei waren sogenannte linke Werte während der postsowjetischen Jahre populärer als patriotische. Putins Regime hinkt auf einem Bein: Es vermittelt den Menschen zwar die Illusion von der imperialen Größe Russlands, kommt ihnen jedoch in ihrem Streben nach sozialer Gerechtigkeit nicht entgegen.
Die aggressive Außenpolitik Putins traf auf Erwartungen, die viele Russen jahrelang hegten. Fast die Hälfte von ihnen stellt nun befriedigt fest, Putin habe für „Russland den Status einer angesehenen Weltmacht“ zurückgewonnen. Ebenfalls die Hälfte der Russen findet die Erklärung Putins gut, er sei während der „Operation Krim“ bereit gewesen, auch Atomwaffen einzusetzen. Sie glauben, dass man gegenüber dem Westen nur in der Sprache der Stärke sprechen darf.