Die anderen haben niemals recht
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Anti-G-8-Demonstration, 2007 in Rostock Bild: AP
Das Feld des Politischen wird mehr denn je von Rechthaberei dominiert. Ist das ein Problem fehlender Vernunft? Nein: In diesem Gastbeitrag erklärt ein Psychologe, warum Parteilichkeit in der Natur unseres Denkens liegt.
Es fühlt sich gut an, auf der richtigen Seite zu sein, das Böse klar im Blick zu haben und sich ihm entgegenzustellen. Und mit ziemlicher Sicherheit empfinden dieses Glück immer beide, die spazierenden Pegidisten genauso wie die blockierenden Antifaschisten, die Wohlfühlwiderstandskämpfer mit dem locker geschwungenen #nazisraus genauso wie jene Möchtegernverfolgten, welche die Parole als Nachweis der Meinungsdiktatur zitieren. „Vielleicht haben ja die anderen recht“ wird man bei keiner Demo je auf einem Transparent lesen. „Ich bin mir nicht sicher“ ist nicht der Satz, mit dem man auf Twitter Massen mobilisiert. Ob Dieselpendler oder Großstadtgrüne, Offenheitsoptimisten oder Migrationsmiesepeter, ob Leitkulturkämpfer oder Kartoffelstampfer, alle sehen sie die Wahrheit auf ihrer Seite. Die anderen sind dann ungebildet und dumm, oder umgekehrt, die einen zu verbohrt in ihrer Ideologie und zu weit entfernt vom wahren Leben. Das Feld des Politischen, eigentlich gekennzeichnet von Aushandlung und Annäherung, ist mehr denn je von Rechthaberei dominiert.
Man müsse die Emotionen aus der Debatte nehmen, heißt es. Wenn die Hitze weg ist, regelt das der kühle Verstand. Ja, wäre es nicht besser, wenn alle ein bisschen vernünftiger wären? Oder, ehrlicher gesagt: zumindest jene mit der anderen Meinung. Vernünftig ist man schließlich selbst, zur Vernunft kommen sollen die anderen. Man kommt schwer aus dieser Ansicht raus, obwohl man sich doch denken kann, dass sie nicht immer den Tatsachen entspricht. Man könnte beginnen an der Vernunft zu zweifeln, und mit Recht. Wer hingegen an die Vernunft glaubt, den muss die Psychologie enttäuschen. Denn man braucht nicht zwingend Zeitdiagnosen darüber, wie der aufgewirbelte Dreck des globalen Wettbewerbs, der Präriestaub der sozialen Medien unsere reine Vernunft beschmutzt. Man braucht keine Politiktheorie und psychiatrische Diagnosen. Das Problem sitzt viel tiefer, denn der menschliche Geist ist durch die Evolution nicht für die reine Vernunft, sondern für die Drecksarbeit geformt. Es liegt in der Natur unseres moralischen und argumentativen Denkens, dass wir selbst glauben, recht zu haben und auf der guten Seite zu stehen, während wir meinen, dass die anderen irren und lügen, heucheln und hassen. Die Vernunft, darin sind sich jedenfalls eine ganze Reihe von Sozialpsychologen in letzter Zeit einig, dient nicht der Erkenntnis, sondern der Rechthaberei. Und nicht mal Intelligenz und Bildung ändern etwas daran.
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