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Gartenschule : Paul Celans botanische Trittsiegel

Das Gelb gegen das Grün: Ginster Bild: Jan Wiele

Er war der Dichter der Niemandsrose. Aber Paul Celan kannte sich auch in der realen Flora bestens aus, wie Heidegger beim gemeinsamen Spaziergang feststellte.

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          Martin Heidegger wunderte sich: Sein Gast kannte mehr Pflanzen als er. Kein Wunder, denn Paul Celan besaß Rudolf Kochs „Kleines Blumenbuch“ (Insel Bücherei, 1933), in dem er neben den deutschen Namen auch die englischen, französischen, russischen und rumänischen Namen der jeweiligen Pflanzen notierte. Auch Heinrich Marzells „Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen“ (Hirzel Verlag, 1943) nutzte er gern. Als der Dichter am 25. Juli 1967 mit dem Philosophen durch den Schwarzwald streifte und in dessen Hütte bei Todtnauberg einkehrte, fielen ihm dort die Heilpflanzen auf, die er schon aus seiner Heimat kannte, der Bukowina, dem erst habsburgischen, dann rumänischen „Buchenland“ der heutigen Ukraine. „Arnika, Augentrost...“ – so beginnt sein Gedicht „Todtnauberg“, das er am 1. August 1967 in Frankfurt zu schreiben begann.

          Claudia Schülke
          Freie Autorin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Der Augentrost, Euphrasia, die Pflanze der Freude, war ihm schon einmal aufgefallen. „Im Krieg, in der Moldau, war ich, mit zwei Eimern beladen, die ich, vor Mittag, in die kleine Stadt holen gehen sollte, um sie zur ,Baustelle‘ zu bringen, diesem Augen-Trost begegnet“, schrieb er am 30. September 1962 an seine Frau. Der Augentrost als „Merkwort einer Erinnerungsspur“, mutmaßt heute Klaus Reichert, damals Celans Suhrkamp-Lektor, in seinem Erinnerungsbuch. Hat der Dichter gleichsam botanisch-lyrische Trittsiegel hinterlassen, denen Heidegger nicht zu folgen vermochte? Der Schwarzwald sollte, so dachte es sich Heidegger, heilsam wirken auf den Überlebenden der Shoa, denn erst im Januar desselben Jahres hatte Celan versucht, sich das Leben zu nehmen. Wie eine böse Ironie klingen da diese Heilpflanzen mit den Konnotationen Gift und Straflager, denn die Arnika ist ebenso giftig wie heilsam, janusköpfig wie der Philosoph, der zeitweise mit jenen gemeinsame Sache gemacht hatte, denen die Eltern des Dichters zum Opfer gefallen waren.

          Pflanzen des Schmerzes

          Die Pflanzen in Celans Gedichten spenden keinen Trost. Die Kulturlandschaft seiner Jugend ist verwüstet, und in seinem lyrischen Garten blühen Blumen, die in keiner botanischen Nomenklatur vorkommen. Etwa die „Niemandsrose“ im „Psalm“. Sie hat einen „Griffel seelenhell“ und einen „Staubfaden himmelswüst“. Was ist das für eine Rose, die einem „Niemand“ entgegenblühen will? Wer ist überhaupt „Niemand“? Der unaussprechlich Ewige? In „Radix, Matrix“ heißt es: „Wurzel Abrahams, Wurzel Jesse. Niemandes / Wurzel – o / unser.“ Soll die „Niemandsrose“, diese Rose aus dem „Wir“, in den Urnen Dantes Himmelsrose auslöschen? Entwächst sie kabbalistischem Humus? Ihre Kronblätter sind „rot / vom Purpurwort, das wir sangen / über o über / dem Dorn“. Hier verschwindet der Botaniker Celan hinter dem Dichter. Denn die Rose trägt Dornen nur in der Dichtung, in der botanischen Realität trägt sie Stacheln.

          „Der Dorn/wirbt um die Wunde“, heißt es auch in der „Matière de Bretagne“. Diesmal sind es echte Dornen, umgebildet aus Blättern und Kurztrieben des Stechginsters, der zudem giftig ist bis zur Atemlähmung. „Ginsterlicht, gelb, die Hänge eitern gen Himmel“, so beginnt das Gedicht. Celans Pflanzen klagen den Himmel an. Davon spricht auch seine „Engführung“: „Wir / taten ein Schweigen darüber, / giftgestillt, groß, / ein / grünes / Schweigen, ein Kelchblatt, es / hing ein Gedanke an Pflanzliches dran – / grün, ja, / unter hämischem / Himmel.“ Einem Himmel, der latenten Schaden ausbrütet.

          Grün war das Buchenland in Celans Erinnerung, weiß und gelb: „Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel. / Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß. / Löwenzahn, so grün ist die Ukraine. Meine blonde Mutter kam nicht heim.“ Auch Pappeln und Schwarzerlen wachsen in Celans Gedichten wie an den Flüssen der Bukowina, jene Bäume, in die sich die Heliaden, Töchter des Sonnengottes, verwandelten, als sie am Eridanos um ihren toten Bruder Phaeton weinten. Als ihre Mutter die Mädchenkörper aus der Rinde befreien wollte, schieden sie Harz aus, auch sie – Pflanzen des Schmerzes, der bei Ovid noch zu Bernstein gerann. In Celans „Stimmen“ aber heißt es: „Ein / Fruchtblatt, augengroß, tief / geritzt; es / harzt, will nicht / vernarben.“

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