Papst Franziskus : Wir Kindsköpfe
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Papst Franziskus während einer Rede in Philadelphia im September 2015 Bild: dpa
Der Papst spricht seinen Zeitgenossen ab, bei Eheschließungen zu wissen, wofür sie sich entschieden haben. Und macht sie so zu unselbständigen Anhängseln einer „Kultur der Vorläufigkeit“.
Man kann dem Papst einiges zugutehalten. Recht hätte er beispielsweise, wenn er nur daran erinnern wollte, dass im Zustand des Verliebtseins die Zurechnungsfähigkeit abnimmt und man ebendeshalb mit Lebensentscheidungen nicht allzu forsch bei der Hand sein sollte. Die Moral solcher Geschicht' müsste man sich dann so vorstellen: Triff keine Lebensentscheidung, solange die Brille noch rosarot ist.
Aber das meinte der Pontifex (welcher bei Freund und Feind inzwischen auch auf den Namen Spontifex hört) erkennbar nicht, als er neulich im Plauderton die Mehrzahl der christlichen Ehen für „ungültig“ beziehungsweise „nichtig“ erklärte – und damit in der Logik des Kirchenrechts für annulierbar. Ja, erläuterte er, das sei so, denn man lebe heute nun einmal in einer „Kultur der Vorläufigkeit“, und in einer solchen Kultur wüssten die Menschenskinder nicht, was sie sagen, wenn sie sich versprechen, beieinander zu bleiben, bis dass der Tod sie scheide.
Denn sie wissen nicht, was sie sagen
Denn sie wissen nicht, was sie tun? Aus dem Mund eines Papstes erinnern diese Worte eher an das Bibelwort, mit dem Jesus um Vergebung für seine Häscher bittet, als an den gleichnamigen Titel des James-Dean-Films aus den Fünfzigern. So oder so scheint der Papst seine Zeitgenossen für unselbständige Anhängsel ihrer Kultur zu halten, dergestalt, dass im 21. Jahrhundert die intentionalen Handlungsbögen nur von der Hand in den Mund reichen. Wörtlich meinte der Papst, die Ehewilligen würden zwar sagen: „Ja, für den Rest unseres Lebens.“ Aber sie wüssten nicht, was sie sagen. „Denn sie haben eine andere Kultur.“
Hat man richtig verstanden? Wird hier Entmündigung im großen Stil betrieben (egal ob im Videomitschnitt von der „großen Mehrheit“ oder in der verschriftlichten vatikanischen Korrekturfassung nur noch von einem „Teil“ der christlichen Ehen die Rede ist)? Es geht dem Papst weniger um jene Romantiker, die eine kirchliche Heirat nur als Folklore betrachten, als festlichen Rahmen ohne religiösen Ernst. Es geht ihm vielmehr um die Behauptung einer kulturellen Begriffsstutzigkeit, derentwegen ein Eheversprechen nicht für bare Münze genommen werden dürfe, auch wenn es explizit formuliert wurde. Selbst wenn diese Kindsköpfe wollen, sie können es nicht, lautet der Tenor. Das ist päpstlicher Paternalismus at its best, der einem buchstäblich die Sprache verschlägt.
Weiß der Papst, was er sagt?
Ob Franziskus aus seiner pauschalen Kulturkritik ein neues anthropologisches Grundgesetz ableitet (nach dem Motto: Menschen heute sind nicht bei Trost)? Und sollte dies dann maßgebend für die Theologie sein in dem Sinne, dass die „Lebenswirklichkeit des Vorläufigen“ (Franziskus) zum Maß der Normgebung wird (im Sinne von: Belästigen wir doch die Leute nicht weiter mit unseren Zumutungen, sie ticken sowieso nur im Modus des Vorläufigen, und wer sich von ihnen auf ewig bindet, weiß nicht, was er tut)?
Das sind Fragen, die im Sande verlaufen. Denn Fragen, wie es Franziskus letztlich gemeint hat, ob so oder doch ganz anders, verbieten sich wegen der gewollten Unschärfe seiner Worte generell, einer Unschärfe, die für das argentinische Pontifikat mittlerweile strukturbildend ist. Aufschlussreich ist doch aber die päpstliche Verhältnisbestimmung von Kultur und Glauben, die hier durchscheint. Da erfährt das biblische Gleichnis vom Sauerteig seine Inversion: Kultur erscheint demnach als Salz der Erde, welches den Sauerteig des Glaubens durchdringt – statt umgekehrt. In dieser Blickumkehr liegt das Überraschungsmoment sämtlicher Auftritte von Papst Franziskus. Er selbst spricht, medial gut vermittelbar, vom pastoralen Mehrwert, den die barmherzige Weiterentwicklung der Tradition abwerfe.
Aber ist das wirklich so? Wir Ehebrecher, wir sündiges Geschlecht, fühlen uns auf den Arm genommen. Wir lehnen es ab, uns ferndiagnostisch nachträglich für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Wenn wir dem Versprochenen später nicht gerecht werden, dann wollen wir das bitte so nennen dürfen: Ich bin meinem Versprechen nicht gerecht geworden, hier nicht und da nicht. Aber uns doch nicht von einem Papst spontan einreden lassen, wir hätten gar kein Versprechen abgeben können, als wir es taten (da wir doch zu den kulturell Vorläufigen gehören). Warum erwartet Franziskus von uns ein Normenvollbewusstsein (wer hat das schon im ganz normalen Wahnsinn der Liebe?) und stuft gleichzeitig die Norm zur Bewusstseinstatsache herunter? Weiß der Papst, was er sagt?