Urheberrechtsreform : Geben Sie Panoramafreiheit, Sire!
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Freunde, jetzt ratet mal, wo wir gerade sind: Selfies an berühmten Orten könnten demnächst teuer werden. Auch für nicht so berühmte Leute: spanische Touristen vor dem Brandenburger Tor. Bild: dpa
Sie fotografieren gern berühmte Bauwerke und stellen die Bilder ins Netz? Sollte das EU-Parlament falsch entscheiden, ist es damit bald vorbei. Dann wird kontrolliert, wer da das Brandenburger Tor oder den Eiffelturm knipst. Und es kostet Geld.
Was in Deutschland im öffentlichen Raum herumsteht, darf fotografiert werden – das fällt unter die sogenannte Panoramafreiheit. Und die gilt auch für Kunstwerke wie Skulpturen und Gebäude: Wer also eins der vielen Hundertwasserhäuser, die Deutschlands Kleinstädte zieren, das Berliner Holocaustdenkmal oder den putzigen Paddington-Bär im gleichnamigen Londoner Bahnhof fotografiert und veröffentlicht, bringt sich nicht in Konflikt mit dem Urheberrecht. Das ist gut, denn die allermeisten Touristen machen gerne Fotos von interessanten Orten.
In vielen Ländern ist das allerdings anders geregelt. Der nächtliche Eiffelturm gilt bekanntlich als Kunstwerk, eine gewerbliche Abbildung ist daher grundsätzlich genehmigungspflichtig und mit Kosten verbunden. In der deutschen und englischsprachigen Wikipedia findet sich selbstverständlich ein Bild der kleinen Meerjungfrau von Kopenhagen, nicht jedoch in der dänischen – dort haben die Erben des Künstlers das Urheberrecht an der Statue inne und verbieten die Nutzung. Das gleiche gilt für das Atomium in Brüssel: In der belgischen Wikipedia musste das Wahrzeichen schwarz übermalt werden.
Neue Geschäftsfelder für Abmahnanwälte
Da haben die Deutschen es besser, ebenso wie die Österreicher, die Schweizer, die Polen, die Briten und viele andere. Einige Länder haben Zwischenlösungen, die immerhin Gebäude vom Urheberrecht ausnehmen. Nun soll aber das Urheberrecht in der ganzen EU angeglichen werden. Die deutsche Piraten-Abgeordnete Julia Reda verfasste für den EU-Rechtsausschuss einen Berichtsentwurf, der vorschlägt, wie eine solche Reform aussehen könnte. Er stieß in diesem Rechtsausschuss auf weite Zustimmung, nur in einem Punkt nicht: dem der Panoramafreiheit.
Die Forderung in diesem Bericht, die die freie Abbildung von Werken vorsieht, die „dauerhaft an öffentlichen Orten plaziert sind“, wurde eingeschränkt. Redas ursprünglicher Vorschlag einer einheitlichen Panoramafreiheit für alle EU-Staaten soll in einer Überarbeitung durch die Regelung ersetzt werden, dass die „gewerbliche Nutzung“ von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an „physischen öffentlichen Orten“ plaziert sind, „immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte“. Die Änderung stammt von einem französischen Mitglied der Fraktion der Liberalen, Jean-Marie Cavada – Frankreich gehört zu den Ländern, die keine Panoramafreiheit haben und diesen Status energisch verteidigen. Was das in der Praxis für Fotografen oder Dokumentarfilmer bedeutet, die dann ständig ihren Bildhintergrund nach potentiellen Rechtsverletzungen abklopfen müssten, kann man sich vorstellen.
Doch eine Einschränkung der Panoramafreiheit hat noch viel weitergehende Folgen. Das Problem liegt zum einen in der eher schwammigen Formulierung „gewerbliche Nutzung“. Denn wo die anfängt und aufhört, ist unklar. Wer ein Blog mit Reisefotos betreibt und dort Google-Anzeigen schaltet, handelt gewerblich. Auch ein Button des Micropayment-Dienstes Flattr reicht schon aus. Und die Piraten-Abgeordnete Reda erklärt auf ihrem Blog, dass auch Privatleute betroffen sein können: Wer etwa ein Urlaubsfoto bei Facebook oder einer anderen Plattform hochlädt, stimmt automatisch einer kommerziellen Nutzung zu und erklärt, alle erforderlichen Rechte am Bild zu besitzen. Das dürfte allerdings nur bei einem Bruchteil der Bilder tatsächlich der Fall sein – der Betreiber der Plattform ist damit aber auf der sicheren Seite und muss nicht für Urheberrechtsverletzungen haften. Für Abmahnanwälte dürften sich dadurch äußerst interessante neue Geschäftsfelder erschließen.
Das Ende professioneller Fotografie im öffentlichen Raum
Betroffen ist auch die Wikipedia. „Noch drei Wochen, um die Panoramafreiheit zu retten“, titelte die Wiki-Hauspostille „The Signpost“ am 17. Juni, denn am 9. Juli wird das Plenum des EU-Parlaments über den Text abstimmen. Die Wikipedia ist ebenfalls stark betroffen von der Regelung, da sie dann kaum noch aktuelle Architektur oder Kunst im öffentlichen Raum zeigen dürfte. Bisher hat man sich beim Trägerverein Wikimedia stark dafür engagiert, etwa im Rahmen des jährlichen Fotowettbewerbs „Wiki loves Monuments“, bei dem dazu aufgerufen wird, weltweit Fotos von Bauwerken anzufertigen und bei Wikipedia hochzuladen. Mittlerweile gilt „Wiki loves Monuments“ als der größte Fotowettbewerb der Welt mit Teilnehmern in 41 Ländern.
Auch die Fotojournalistenvereinigung Freelens hat starke Bedenken gegen den Vorschlag. Die Genehmigung für sämtliche Objekte einzuholen, sei für Fotografen ein „unmögliches Unterfangen“, heißt es auf der Website. „Das kann das Ende der professionellen Fotografie im öffentlichen Raum bedeuten.„ Man sei daher mit den zuständigen Abgeordneten in Gespräch – und verweist auf eine Online-Petition, die sich für den Erhalt der Panoramafreiheit einsetzt.
Julia Redas Bericht erlangt zwar nicht direkt Gesetzeskraft. Doch wird er vorgeben, in welche Richtung es mit einem europäischen Urheberrecht geht. Die Tage der Panoramafreiheit könnten also gezählt sein.