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Handke in Schweden : Jeder hat das Recht, dumme Dinge zu sagen

Peter Handke am 21. September 2014 in Oslo: Eine Frau hält ein Plakat hoch mit der Aufschrift „Völkermord-Leugner“. Bild: AFP

Auch in Schweden diskutiert man heftig über Peter Handke. Jetzt wurde sogar Schwedens König aufgefordert, dem Schriftsteller den Nobelpreis nicht zu überreichen.

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          Als Peter Handke in den Norden reiste, um seinen Preis in Empfang zu nehmen, war die Stimmung gereizt. Er wurde als „Faschist“ beschimpft, und auf einem Schild, das eine Frau ihm entgegenhielt, stand: „Völkermord-Leugner“. Bilder zeigen Handke, wie er scheinbar verwundert in der Menge steht. Das war 2014, Handke hatte den Ibsen-Preis in Oslo bekommen. Am 10. Dezember darf er wieder im Norden einen Preis in Empfang nehmen: den Nobelpreis für Literatur in Stockholm. Und auch in Schweden ist die Stimmung vor der Preisverleihung aufgewühlt, die Diskussion hitzig, grundsätzlich – und persönlich.

          Matthias Wyssuwa
          Politischer Korrespondent in Berlin.

          In Schweden sind die Argumentationslinien denen in Deutschland freilich ähnlich. Was hat Handke wirklich geschrieben, gesagt, was hat das mit ihm zu tun, was mit seinem Werk – und was mit tatsächlich erlittenen Leid des Krieges in Bosnien? Kann und sollte man Künstler und Werk trennen, wofür gibt es einen Nobelpreis und wofür eben nicht? Nur kommen in Schweden zwei Elemente hinzu: Zum einen die fremde Sprache des Autors. Zum anderen die Tatsache, dass die Kulturlandschaft überschaubar ist, und manche derer, die in den Zeitungen schreiben und diskutieren, die Entscheidung verteidigen, die sie selbst getroffen haben. Die Mitglieder der Jury des Nobelpreises sind mittendrin in der Diskussion.

          In der November-Folge des F.A.Z.-Bücher-Podcasts:

          Karen Krüger über ein frühes Buch von Elif Shafak, Dietmar Dath über ein neues von Philip Ording und Kai Spanke über Campinos „Hope Street“

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          Schon kurz nach der Bekanntgabe des Preises meldete sich Jasenko Selimovic zu Wort. Geboren ist er 1968 in Sarajevo, 1992 war er vor dem Krieg geflohen. In Schweden hat er ein Theater geführt und saß zuletzt für die kleine Partei „Liberale“ im Europaparlament. Schon am Tag der Bekanntgabe ließ er sich mit der Äußerung zitieren, es sei „bizarr“, dass die Akademie einen solchen Weg eingeschlagen habe. Es sei beschämend. Später schrieb Selimovic, Handke habe das Recht, all die dummen Dinge zu sagen. Nur den Nobelpreis sollte er nicht bekommen. Er verleugne Existenz und Identität der Opfer, und auch wenn Handke nicht bestreite, das in Srebrenica Menschen getötet wurden, so bestreite er doch, dass ein Völkermord stattgefunden hat. Für seine Beweisführung zieht er unter anderem Auszüge aus Handkes Text „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ an. Selimovic notiert auch, was damals Grausames passiert ist, und es führt ihn zu der Forderung, der schwedische König solle sich weigern, Handke den Preis zu überreichen. Mit Entsetzen hatte auch Johannes Anyuru, ein schwedischer Schriftsteller mit ausländischen Wurzeln, über die Entscheidung geschrieben – und die Akademie allgemein wie deren Unterscheidung zwischen Werk und Autor im Speziellen kritisiert. Es blieben nicht die einzigen scharfen Angriffe auf die Schwedische Akademie.

          Nachdem diese im vergangenen Jahr von einem Skandal um Indiskretion und sexuellen Missbrauch erschüttert worden war, bestand die Jury in diesem Jahr aus fünf ständigen Mitgliedern – und fünf sogenannten externen Experten, vor allem Literaturkritikern. Die verteidigten ihre Entscheidung für Handke vehement. So antwortet Mikaela Blomqvist auf die Vorwürfe von Selimovic und stellt gleich fest, dass es von Handkes „Winterlicher Reise“ keine schwedische Übersetzung gebe. Sie schreibt, sie wolle Handkes „literarisches Projekt in Jugoslawien“ nicht verteidigen, sie halte es für gescheitert. Sie fordert aber Genauigkeit ein, und dass man die Sätze in ihrem Kontext begreifen müsse. An vier Beispielen versucht sie die Kritik zu entkräften: So wirft sie Selimovic vor, mit einer ungenauen Übersetzung zu arbeiten – die im Schwedischen mit dem Begriff des „Sogenannten“ eine angebliche Distanz Handkes zum Verbrechen herstelle, wo im Deutschen ein „wie es heißt“ steht. Auch Henrik Petersen verteidigt die Entscheidung des Komitees, dem er angehört. Er argumentiert nah am Werk und der Biographie Handkes, und schreibt, dass er ihn für einen „radikal unpolitischen“ Autor halte.

          Viel Aufmerksamkeit hat der Text Rebecka Kärdes in „Dagens Nyheter“ erfahren. Sie ist mit 27 Jahren das jüngste Mitglied des Nobelpreiskomitees, und schreibt, es gehe darum, Handkes Werk als Ganzes zu beurteilen. Dazu gehörten zwar auch seine Texte über Serbien, doch handle es sich dabei weder um nationalistische Pamphlete, noch könne man aus einem „peripheren“ Text wie der „Winterlichen Reise“ eine dogmatische Haltung ableiten. Das Nobelpreiskomitee habe neben diesen Texten siebzig andere Werke Handkes lesen müssen. So sei man zu dem Schluss gekommen, dass er in „höchstem Grad den Nobelpreis verdient“ habe. Sie schreibt: „Indem wir Handke den Preis verleihen, machen wir geltend, dass die Aufgabe der Literatur eine andere ist, als zu bestätigen und reproduzieren, was der Hauptstrom der Gesellschaft für moralisch richtig betrachtet.“ Kurz darauf kritisierte Selimovic sie als naiv, ihr fehle das Wissen über Srebrenica. Und Kärde antwortete wieder. So wird es wohl noch eine Weile weitergehen.

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