Die Villa der Wannsee-Konferenz in Berlin Zehlendorf Bild: Imago
Seit kurzem wird die Singularität des Holocausts auch von links in Frage gestellt: Sie verdränge koloniale Genozide und sei eine deutsche Zivilreligion. Die Argumente dieser Kritik sind voller historischer Lücken.
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Je länger der Massenmord an den europäischen Juden zurückliegt, desto abenteuerlichere Behauptungen können über ihn gemacht werden. Das meint nicht seine Leugnung. Sie ist zu absurd, um mehr als ekelhaft zu sein. Vielmehr geht es um die Behandlung des Holocausts als „Narrativ“, dessen Bedeutung übertrieben werde. Es sei provinziell, heißt es derzeit, Auschwitz von allen anderen Genoziden der jüngeren Weltgeschichte zu unterscheiden. Die Chancen für solche Einordnungen der Shoah ins allgemeine Schlachtgeschehen der Historie erhöhen sich inzwischen schon aus demographischen Gründen. In deutschen Schulen treten gerade die letzten Überlebenden der Vernichtungslager auf. Soeben ist der älteste noch lebende Befreier von Auschwitz 98-jährig gestorben. Die biographischen Verbindungen werden dünner, und die Zeit ist unbarmherzig.
Demnächst werden darum auch Teile der öffentlichen Diskussion über Auschwitz historisch werden. Es wird die Erinnerung an die Mühe verblassen, deren es bedurfte, um zu Wahrheiten über den Judenmord zu kommen. Der sogenannte Historikerstreit, der das noch 1986 zeigte, wird bald mehr als eine Generation zurückliegen. Zusätzlich gibt es die Sorge, welches Gewicht die Geschehnisse von 1940 bis 1945 noch für eine Gesellschaft haben, in der immer mehr Bürger leben, deren Eltern und Großeltern nach dieser Zeit geboren sind oder ganz außerhalb derjenigen Regionen, in denen sich der Massenmord zugetragen hat. Was soll einem afghanischen oder marokkanischen Einwanderer der Holocaust bedeuten?
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