Morde an Frauen in Mexiko : Wer stoppt den „Femigenozid“?
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Beim „March of the Catrinas“ protestieren Frauen gegen die vielen Femizide im Land. Bild: Mahé Elipe
Frauenmorde sind in Mexiko auch strategische Ziele, Terrorbotschaften der Verbrecher an die Gesellschaft. Über Gewalt gegen Frauen zu berichten ist gefährlich. Aber der Widerstand wächst.
Mexiko ist trotz der Pandemie und der mörderischen Gewalt der Kartelle weiterhin ein beliebtes Urlaubsziel: Zur Einreise braucht man keinen negativen PCR-Test, der Präsident Andrés Manuel López Obrador, abgekürzt AMLO, verweigerte lange jegliche Hygienemaßnahmen und trägt weiterhin so lange keine Maske, „bis es in Mexiko keine Korruption mehr gibt“. Das Land verzeichnet auf dem Höhepunkt der dritten Welle im August rund 250.000 Tote und ist von Deutschland als Hochrisikogebiet eingestuft. Dennoch sind Millionen internationale Touristen im vergangenen Jahr vor den Corona-Maßnahmen in ihren Heimatländern an die Strände von Cancún oder Tulum geflohen: Die Grenzen bleiben offen, das Leben ist günstig, die Sonne brennt vom Himmel, und das türkisfarbene Meer bietet die perfekte Kulisse für den nächsten Instagram-Post. Lediglich ein Blick in die lokale Tageszeitung könnte die Idylle trüben.
Ariadna Lobo, neunundzwanzig Jahre alt und Investigativjournalistin der Tageszeitung Reforma, bekommt von der paradiesischen Seite ihres Heimatlandes wenig mit. Sie arbeitet bis zu zwölf Stunden täglich zum Thema Gewalt gegen Frauen. Im Januar 2020 publiziert sie eine Reportage über einen Fall von häuslicher Gewalt in Mexiko-Stadt. Ein Mann hatte seine Frau jahrelang missbraucht und sogar wiederholt auf sie geschossen. Der psychisch kranke Täter beginnt Ariadna zu bedrohen, zuerst mit Verleumdungsklagen, dann forscht er nach ihrer Telefonnummer und Adresse. Ariadna bekommt Angst, auch um ihre Familie und ihr Redaktionsteam. Sie erstattet Anzeige und erhält Polizeischutz. Die Frau des Täters, die sich weiterhin in akuter Lebensgefahr befindet, bleibt ohne staatliche Unterstützung. Daraufhin übt Ariadna selbst erfolgreich Druck auf die Staatsanwaltschaft aus, die auf zwei Anzeigen der Frau nicht reagiert hatte, indem sie ihr mit Artikeln über die Untätigkeit der Behörden droht.
Eine Geschichte aus der aktuellen Ausgabe des Magazins der F.A.Z. „Frankfurter Allgemeine Quarterly“
Jetzt abonnierenAriadna selbst wird acht Monate lang von Polizisten begleitet. Für sie ist das ein massiver Eingriff in ihre Privatsphäre und extrem isolierend: Ihre Freundinnen wollen sich nicht mehr mit ihr treffen, nicht wegen Corona, sondern auch wegen des Misstrauens gegenüber der mexikanischen Polizei. Dann wird ihre Anzeige gegen den Täter fallen gelassen, Gutachten kommen zu dem Schluss, dass sie keine bleibenden psychologischen Schäden davongetragen habe. Dabei kann sich Ariadna nach eigenen Angaben nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren und schläft nur noch nach der Einnahme von Medikamenten.
Ihre Zeitung nutzt den Fall als Aushängeschild und erklärt sie zur neuen Genderbeauftragten, allerdings ohne ihr Einverständnis. Bald wird ihr die Belastung zu viel. Sie überwirft sich mit ihrem Vorgesetzten, sie kündigt. Nicht nur die konkreten Angriffe auf ihre Person haben Spuren in ihrer Seele hinterlassen: Wer in Mexiko über Gewalt gegen Frauen schreibt, spricht tagtäglich mit verzweifelten Müttern, die ihre Töchter suchen, ist nicht nur mit Betroffenen sexualisierter Gewalt konfrontiert, sondern auch mit beispiellosen Grausamkeiten, zu denen gevierteilte und anschließend entsorgte Frauenkörper im Müll am Straßenrand gehören. Mit solchen Bildern im Kopf muss Ariadna schlafen gehen.