Wir sind die Weltmeister im Wohlfühlen
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Schüler, die inspiriert von der Schwedin Greta Thunberg die Schule schwänzen, um zu protestieren, sind leider ebenso wenig eine Lösung für globale Probleme wie die marginalen Lösungsansätze aus Politik und Wirtschaft. Bild: dpa
Probleme wie Klimaschutz oder EU-Krise lassen sich erst lösen, wenn man weiß, was man zu welchem Preis erreichen will. Dass das in Deutschland aktuell nicht möglich ist, hat mehrere Gründe.
Der Hirnforscher Valentin Braitenberg hatte eine unorthodoxe Methode, Diplomprüfungen abzunehmen: Der Prüfling durfte ein Thema wählen, zum Beispiel den visuellen Kortex des Menschen. Dann musste er in freier Rede erzählen, was er wusste. Er wurde vom Professor aber immer wieder mit Zwischenfragen unterbrochen. Das führte bei den Studenten zu Stress. Nach dem Stand der Forschung gab es auf viele dieser Fragen keine Antwort. Belohnt wurden am Ende nur die Mutigen, die ihr Unwissen zugaben. Wer aber den Könner mimte, erhielt schlechte Noten. Im Nachgespräch erklärte Braitenberg den verstörten Kandidaten, dass man die zentralen offenen Fragen seiner Disziplin kennen müsse; andernfalls wäre man nicht in der Lage, zu neuen Ufern aufzubrechen. Und das wäre schließlich das Ziel jedes Forschers.
Kann Nichtwissen also einen Wert haben? Ja, wenn man sich des Nichtwissens bewusst ist! Dann ist es Motivation und Handlungsaufforderung. Gefährlich ist es, nicht zu wissen, dass man nichts weiß. Damit sind wir in der Gegenwart. Heute wünscht man sich einen Charakterkopf wie Braitenberg als Politikberater. Er könnte den Volksvertretern erklären, was der Unterschied zwischen einem Fragezeichen und einem Ausrufezeichen ist. Ein Fragezeichen im sachlichen Diskurs ist eine Einladung zum Mitdenken. Ein Ausrufezeichen gleicht einem Schlag mit der Keule. Wir leben in einer Zeit der Ausrufezeichen.
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