Merkel-Bashing : Auf die Kanzlerin kommt es an
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Antreten oder aufhören? Angela Merkel zögert mit einer klaren Anwort. Bild: AP
Ist Kritik an Angela Merkel jetzt zum Volkssport geworden? Die ganze Meckerei von allen Seiten wirkt hilflos, lächerlich und frauenfeindlich. Und was haben die Kritiker selbst zu bieten? Nichts!
Ein Jahr „Flüchtlingskrise“. Was ist damit gemeint? Nicht der Notstand an Europas Küsten, der schon viel länger anhält, sondern der innere Zustand unseres Landes. Es ist nicht leicht zu sagen, was eigentlich die Symptome dieser Krise sein sollen. Ökonomische können es nicht sein, denn die Bundesregierung hat gerade eine Steuersenkung angekündigt. Greifbar ist die „Flüchtlingskrise“ als Phänomen des öffentlichen Diskurses.
Von der Krise wird geredet, pausenlos geredet. Nach dem griechischen Wortsinn ist die Krisis eine Situation, die auf eine Entscheidung zutreibt. Auf welche Veränderung sollen wir uns einstellen? Sieht man von den apokalyptischen Ankündigungen eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung ab, so richten sich die Erwartungen auf das politische System. Der Stoff, aus dem die Krise ist, sind Ankündigungen einer Regierungskrise.
Gehässiger und obsessiver Widerspruch
Naturgemäß steht die Regierungschefin im Zentrum der Spekulationen. Aber im Vergleich mit früheren Richtungsentscheidungen ist frappant, wie viel Kritik die Bundeskanzlerin jetzt auf sich zieht, bündelt und absorbiert. Die Kritik der Regierungspolitik artikuliert sich als Kritik an Angela Merkel und erschöpft sich sehr häufig darin. Hier und da wird man in der Geschichte der früheren Kanzler auf Vorgänge stoßen, die an den gehässigen und obsessiven Widerspruch erinnern, der Frau Merkel entgegenschlägt. Wer in den siebziger Jahren zur Schule ging, kennt die Parole „Stellt den Brandt an die Wand!“ Aber es ist unvorstellbar, dass der Streit über die Ostpolitik als Debatte über die Person des Kanzlers geführt worden wäre, dass dessen mutmaßliche Hintergedanken und angebliche Eigenmächtigkeiten die Leitfragen für nahezu sämtliche Leitartikel und Talkshows geliefert hätten.
Die Sachdimension der Asyl- und Migrationspolitik ist durch die persönliche Dimension fast komplett überlagert worden. Durch die Suggestion, das Problem trage den Namen von Angela Merkel, entledigen sich die Kritiker der Verpflichtung, in die inhaltliche Auseinandersetzung einzutreten und Gegenvorschläge zu machen. Am eklatantesten ist diese Verdrängung der Sachdimension in der endlosen Debatte über die Losung „Wir schaffen das“. Es wird nicht darüber diskutiert, was jenseits von Unterbringung und Überwachung für Neubürger und Schutzbefohlene getan werden kann. Die Aufmerksamkeit gilt vielmehr der ewigen Frage, ob in Frau Merkels Satz, einer keineswegs originellen Formel des urdemokratischen „Könnens-Bewusstseins“ (Christian Meier), schlechte Eigenschaften jener Frau zum Vorschein kommen, die ihn ausgesprochen hat: Hochmut, Größenwahn, Belehrungseifer.
Weiß sie, was sie tut? Anzunehmen
Nach allgemeiner Ansicht ist die rechtsstaatskonforme und demokratieverträgliche Bewältigung der Massenmigration eine große Gemeinschaftsaufgabe. Wie geht man sie an? Man debattiert die psychischen Dispositionen einer einzelnen Person. Und zwar derjenigen Person, die, damit sie ihr Amt versehen kann, fast nie zu erkennen geben darf, was sie antreibt. In der „Zeit“ vom 17. September 2015 stand gleich über mehreren Artikeln die Schlagzeile: „Weiß sie, was sie tut?“ Nach allen Erfahrungen der Deutschen mit Angela Merkel war das eine dämliche Frage. Die berufsmäßigen Analytiker der Politik hätten gut daran getan, der Kanzlerin wenigstens versuchsweise zu unterstellen, dass ihrer Flüchtlingspolitik Überlegung zugrunde lag. Dann hätten sie auf den später von Herfried Münkler beigesteuerten Gedanken kommen können, dass der in Deutschland viel kritisierte deutsche Alleingang sich als Akt der Rücksichtnahme auf die europäischen Partner verstehen lässt: Deutschland trat in Vorleistung, um der europäischen Lösungssuche Zeit zu verschaffen.
Angela Merkel in Bratislava : „Europa ist in einer kritischen Situation“
Vieldeutigkeit gehört zum Wesen der Diplomatie. Staatsmänner und -frauen sind gehalten, sich knapp oder in Formeln zu äußern. Die Redakteure, die wiederholt fragten, ob Frau Merkel wisse, was sie tue, projizierten ihre eigene Unkenntnis auf die Kanzlerin. Es zeichnet außenpolitische Entscheidungssituationen aus, dass auch die Kenner nicht wissen, was die Akteure tun, im Sinne von: bezwecken. Gegenüber dieser Kerntätigkeit der Exekutive stößt die Kontrolle durch die Presse an eine Grenze, und zwar aus sachlichen Gründen.