Merkels Te Deum : Sound der Macht
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Zwischen Kirchenlied und Punksängerin: Die Playlist der Kanzlerin zum Zapfenstreich deckt ein breites Spektrum ab. Bild: dpa
Dass Angela Merkel sich mit dem Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich“ verabschiedet, ist kein Zufall. Schließlich ist es eng mit der europäischen Integration verknüpft.
Seit Angela Merkels Liedauswahl für den „Großen Zapfenstreich“ bekannt wurde (F.A.Z. vom 29. November), mit dem sie heute von der Bundeswehr verabschiedet wird, wird das Repertoire unter die Lupe genommen. Hilde Knef und Nina Hagen, alte Bundesrepublik und jugendliche DDR – das findet man mal gut gewählt, mal banal, mal ausgewogen (Ost und West, zwei starke Frauen obendrein), mal politisch inkorrekt (Ostalgie, Nostalgie). Nur zum ersten der drei Titel auf Merkels Wunschliste ist wenig zu hören. „Dabei ist Merkels Entscheidung für die bekannteste und konfessionsübergreifend populäre Version des Te Deum, des aus dem vierten Jahrhundert stammenden Lob- und Dankhymnus der lateinischen Kirche, gewiss kein Zufall.
Vom Breslauer Priester Ignaz Franz 1771 ins Deutsche übertragen, wurde „Großer Gott, wir loben dich“ bald zum Gemeingut des im neunzehnten Jahrhundert aufblühenden Volkskatholizismus und auch bei Protestanten populär. Deutsche Auswanderer nahmen es mit nach Nordamerika. Die englische Version „Holy God, we praise thy name“ ist heute ein globaler christlicher Ohrwurm. Das Lied habe einen anderen Rang als die meisten Kirchenlieder, „einen mächtigeren, umfassenderen, grundsätzlicheren, der es erlaubt, von einer Hymne zu sprechen“, schrieb der Mainzer Literaturwissenschaftler Hermann Kurzke: Man müsse es erlebt haben, mit welcher Urgewalt das Lied gesungen werde, etwa „im katholischen Gottesdienst nach der Fronleichnamsprozession, beim Wiedereinzug in die Kirche, wenn alle Glocken läuten, die Orgel ihr Äußerstes gibt und auch die, die sonst nur lustlos vor sich hin brummeln, schmettern aus voller Brust“. Ein Erschauern angesichts der Größe Gottes gehe da durch die Menge.
Was wäre Europa ohne Te Deum?
Das fromme Schauern steckt schon in der lateinischen Urversion, und dazu gleich eine ganze politische Theologie: ein Meer der Stimmen, ein Universum des Glaubens und des Zweifels, ein Theater der Macht. Denn der feierliche Lob-, Dank- und Bittgesang der Kirche ist mehr als bloß ein frommes Kirchenlied, mit dem sich bei Merkels Generationsgenossen in der Union warme Wallungen hervorrufen lassen. Als „drittes Glaubensbekenntnis“ hat Martin Luther das Te Deum bezeichnet, jenen „Ambrosianischen Lobgesang“, von dem die Legende erzählt, dass er aus einem Dialog zweier vom Geist beseelter Heiliger entstand, die als Bischöfe der frühen Kirche auch einflussreiche Regierende waren, Verwalter, Richter und Gesetzgeber in Personalunion: Augustinus und Ambrosius von Mailand. Von jeher ist das Te Deum, das in der Liturgie den Übergang vom Werktag zu Sonn- und Feiertag markiert, ein Sound der Macht und der Mächtigen, bekräftigt Ordination und Weihe, Krönung und Sieg. Kaum zu zählen sind die Vertonungen, und nicht zufällig stammen die heute wohl bekanntesten aus der Hochzeit des Absolutismus: Händels „Dettinger Te Deum“ und der Jingle der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, das Te Deum von Marc-Antoine Charpentier.
Überhaupt, was wäre Europa ohne Te Deum? Das Te Deum von Reims, mit dem im Juli 1962 die feierliche „Messe für den Frieden“ ausklang, an der Adenauer und de Gaulle in der kriegszerstörten Kathedrale teilnahmen, ist Teil der europäischen Integrationsgeschichte. Als Merkel ein halbes Jahrhundert später mit François Hollande nach Reims kam, um an den Versöhnungsakt der beiden katholischen Staatsmänner zu erinnern, gab es weder Messe noch Te Deum, und der Fototermin fand vor dem Portal statt. Vielleicht wusste die Pfarrerstochter sehr genau, dass sie den christlichen Hymnus auf den Stufen der Kathedrale von Reims sichtbar im Rücken hatte. Denn das Te Deum ist, auch ganz ohne Farbfilm und rote Rosen, ein gewaltiges Drama, ein Schauspiel des Jüngsten Gerichts, in den Tympana über den Portalen der Kathedralen des Mittelalters Stein geworden.
Um den Richter des Jüngsten Tages scharen sich Engel, Cherubim und Seraphim, die Patriarchen des Ersten Testaments, die Märtyrer und Heiligen, die Jungfrauen und Bekenner, die Mächtigen der Welt und das Volk, eine vielfältige Gemeinde aller Stände, der Ignaz Franz in seiner freien Übersetzung eine hoffnungsvolle und zugleich ernste Bitte in den Mund legt: „Auf Dich hoffen wir allein, lass uns nicht verloren sein.“ Im lateinischen Original könnte der Wechsel von den bombastischen Engelschören zum nüchternen Ausklang nicht stärker sein. Da bleibt am Ende nur ein kleines Menschlein, das sagt: In te, domine, speravi. Non confundar in aeternum – auf Dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.