Aufnahme aus der U-Bahn-Station Westfriedhof in München: Kommt die Zukunft der Mobilität einfach nicht, oder rast sie längst an uns vorbei? Bild: Picture-Alliance
Die Debatte ums Tempolimit übertönt die wirklich wichtigen Fragen der Verkehrspolitik: Wo sind denn die neuen futuristischen Züge, die gestresste Raser und müde Lkw-Fahrer auf die Schiene locken?
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Beim Streit ums Auto ist es mittlerweile wie beim Völkerballspiel in der Schule. In Talkshows werden zwei Teams gebildet, die sich dann mit allem bewerfen, was sie in die Finger bekommen: Die eine Seite will aus Öko- und Sicherheitsgründen, dass Schluss ist mit dem Autofanatismus – Autos raus aus der Stadt, strenges Tempolimit auf Autobahnen, Schluss mit Verbrennungsmotoren, das sei gut für Umwelt und Sicherheit, und man zwinge so auch den am Lenkrad zum Benzinhulk mutierenden Wutbürger zu sozial freundlicherem Verhalten.
Die Gegenseite führt ins Feld, dass die privilegierten Insassen der Innenstädte vielleicht gut aufs Fahrrad oder ihre Füße umsteigen könnten, nicht aber ein Arbeiter, den man aus dem Zentrum der Städte erfolgreich hinausgentrifiziert habe und der nun jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit pendeln müsse; dass außerdem der Wohlstand Deutschlands vom Auto abhänge und man ohne Autoindustrie zwar deutlich grüner, aber eben auch so mittellos grün wie das bitterarme Uganda dastehe. Das wiederum halten die Autofeinde für böse Panikmache – und so schaukelt sich die Debatte auf, vorbei an den Fakten und an den wirklichen Fragen.
Ende des Monats soll die „Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität“ ihren Abschlussbericht vorlegen und erklären, wie die Klimaschutzziele eingehalten werden können. Wie man hört, ist das Thema Tempolimit, das erst mit Klima- und dann mit Sicherheitsargumenten aufgebracht wurde, vom Tisch: Schwere Unfälle, so das Argument der Reglementierungsskeptiker, geschehen durch unangemessene Geschwindigkeit – und die hänge von der Situation ab: Auch erlaubte achtzig Kilometer, bei nasser Fahrbahn in Kurven in einem schmalrädrigen Kleinwagen, können viel zu schnell sein. Mit dreißig an einer Schule vorbeizufahren kann gefährlicher sein, als bei klarer Sicht und trockener Fahrbahn sechsmal so schnell über eine schnurgerade, leere Autobahn zu fahren – und es sei nicht klar, dass durch ein Tempolimit die Zahl der Toten automatisch sinke: Warum, fragen die, die in Beschränkungen kein Allheilmittel sehen, sind amerikanische Highways, auf denen man kaum über hundert km/h fahren darf, auch französische und spanische Autobahnen, gefährlicher als deutsche; und könnte es sein, dass auf jeden Raser, der nicht mehr rasen kann, ein Döser kommt, der verunfallt, weil er einschläft oder nebenher SMS beantwortet?
Die Gefahr der abbiegenden Lastwagen
Gerade ist die Zahl der Verkehrstoten gestiegen – aber vor allem, weil mehr Zweiradfahrer umgekommen sind, oft bei Kollisionen mit abbiegenden Lastwagen. Das führt aber seltsamerweise nicht dazu, dass jetzt ähnlich leidenschaftlich und unsachlich wie um die Einführung von Tempo 130 diskutiert wird, warum nicht sofort alle Lkws, die in Städte fahren, mit einem automatisch bremsenden Abbiegeassistenten ausgerüstet werden, was technisch ohne Weiteres möglich wäre – und nur zwei Prozent des Kaufpreises ausmachen würde? Auch die Lkws der Marke Volvo, die sich in diesen Tagen gern als das moralische Gewissen der Autoindustrie präsentiert, sind keineswegs damit ausgestattet. Dabei kamen 2017 allein in Deutschland 38 Erwachsene und Kinder auf ihren Fahrrädern durch abbiegende Lkws um.