Medienstaatsvertrag : Das Ende des Urheberrechts ist nahe
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Das europäische Urheberrecht gilt, das Presseleistungsschutzrecht auch. Die Frage ist, wie Google und andere Digitalkonzerne es umsetzen. Bild: DW
Der von den Ländern kürzlich beschlossene Medienstaatsvertrag gilt als große Sache: Endlich würden auch die großen Online-Konzerne reguliert. Aber wie? Auf Kosten der Urheber.
Im vergangenen Dezember haben sich die Bundesländer in der Medienpolitik auf etwas geeinigt, das gemeinhin als großer Wurf gilt. Es sei das „bedeutendste medienpolitische Projekt der letzten Jahre“, sagte die Medienstaatssekretärin von Rheinland-Pfalz, Heike Raab (SPD), im Gespräch mit der F.A.Z. Der Hamburger Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD), nannte es in der „Süddeutschen Zeitung“ eine „beinahe historische Entscheidung“.
Worum geht es? Um den Medienstaatsvertrag. Dieser Vertrag soll den Rundfunkstaatsvertrag aus dem Jahr 1991 ablösen. Er verschafft der Medienpolitik, die in Deutschland Ländersache ist, eine rechtliche Grundlage, die endlich zeitgemäß ist. Er formuliert grundsätzliche Regeln nicht mehr nur für Sender und Medienanbieter, sondern auch – und das ist der große Schritt – für die sogenannten „Intermediäre“. Damit sind Suchmaschinen und Plattformen gemeint, die in großem Stil Inhalte von Dritten zugänglich machen, allen voran Konzerne wie Google und Facebook.
Transparenzregeln und ein Diskriminierungsverbot
Für sie gelten künftig Transparenzregeln und gilt ein Diskriminierungsverbot: Nutzer sollen erkennen und nachvollziehen können, nach welchem System und mit welcher automatisierten Berechnung Intermediäre ihnen Inhalte anzeigen. Diese wiederum dürfen Angebote nicht einfach besser oder schlechter behandeln, als nicht diskriminieren. So steht es in dem Entwurf des Medienstaatsvertrags, den die Länder Anfang Dezember beschlossen haben.
In der Fassung des Staatsvertrags, die am 11. Februar an die Staatskanzleien ging, findet sich aber nun ein Passus, der dies alles zunichte macht, Diskriminierung erlaubt und den Intermediären freie Hand gibt. Demzufolge sollen Konzerne wie Google, Facebook oder Youtube Inhalte diskriminieren, das heißt, den Zugang zu Angeboten einschränken dürfen, für die sie für Urheberrechte oder Leistungsschutzrechte zahlen müssten.
Schaut man sich das Kapitel des Medienstaatsvertrags an, das die Intermediäre mit besonders großem Einfluss auf die Information im Internet betrifft, scheint auf den ersten Blick alles in Ordnung: „Aus Gründen der Sicherung von Meinungsvielfalt und deren Bedeutung für die Demokratie“, heißt es in der Begründung des Paragraphen 94 des Staatsvertrags, „ist eine systematisch angelegte Ungleichbehandlung von Angeboten vom Gesetzgeber zu unterbinden. Medienintermediäre dürfen mittels der von ihnen eingesetzten technischen Mittel keinen unzulässigen Einfluss darauf ausüben, welche Angebote für den Nutzer auffindbar sind und welche nicht. Eine systematische Diskriminierung liegt vor, wenn regelmäßig und auf Dauer bestimmte journalistisch-redaktionelle Angebote durch die Programmierung der eingesetzten Algorithmen – etwa aufgrund ihrer politischen Ausrichtung oder der Organisationsform (privat oder öffentlich-rechtlich) des Anbieters – gegenüber anderen redaktionellen Angeboten deutlich über- oder unterrepräsentiert sind.“ Dies sei, so heißt es weiter, „grundsätzlich eng auszulegen“.
Intermediäre, sagte der Chef der Staatskanzlei von NRW, Nathanael Liminski (CDU), Anfang Dezember im Gespräch mit dieser Zeitung, hätten in der modernen Medienwelt eine Schlüsselstellung inne: „Sie entscheiden wesentlich darüber, ob und welche meinungsrelevanten Inhalte gefunden und damit von Nutzerinnen und Nutzern wahrgenommen werden. Inhalte können dabei bewusst hervorgehoben oder auch ausgegrenzt werden. Daher brauchen wir für Medienintermediäre zum einen Transparenzpflichten: So sollen Nutzer besser erkennen können, mit welcher Systematik ihnen Inhalte angezeigt werden. Darüber hinaus brauchen wir Maßgaben, um zu verhindern, dass Angebote gezielt besser oder schlechter behandelt werden.“
Folgt man dem Entwurf des Medienstaatsvertrags soll es von dieser wichtigen Regel jedoch – und das ist der Knackpunkt – auch Ausnahmen geben. Nötig für solche Ausnahmen sei ein „sachlicher Grund“. Und was gilt im Medienstaatsvertrag als sachlicher Grund, „welcher eine Ungleichbehandlung rechtfertigt“? Ein solcher Grund ist unter anderem „das rechtstreue Verhalten eines Medienintermediärs. Werden zum Beispiel in den Suchergebnissen bestimmte Angebote nicht angezeigt, weil der Intermediär diese aufgrund urheber- beziehungsweise leistungsschutzrechtlicher Regelungen nicht vergütungsfrei anzeigen darf oder kann, ist dies ein Rechtfertigungsgrund“.
Das bedeutet: Muss ein Intermediär wie der Suchmaschinenkonzern Google bei der Anzeige von Inhalten Urheberrechte oder Verlegerrechte beachten und diese vergüten, wie dies die im vergangenen Sommer vom Europäischen Parlament angenommene EU-Richtlinie zum Urheberrecht, die gerade in nationales Recht überführt wird, fordert, darf er solche Angebote einfach ausblenden und unterdrücken. Getreu dem Motto: Wer für sein Urheberrecht eintritt, erscheint nicht. Betroffen von dieser Ausnahmeregelung wären nicht nur Verleger, die das – politisch umstrittene –, Leistungsschutzrecht für ihre Inhalte in Anspruch nehmen. Betroffen wären alle Urheber, die ihre Inhalte nicht kostenfrei hergeben wollen, und selbstverständlich auch die Verwertungsgesellschaften.
Aufgefallen ist der Passus, der Google und andere von jeder Zahlungspflicht befreit und Diskriminierung zulässt, der Verwertungsgesellschaft VG Media, die Sender und Verlage vertritt (der Verlag dieser Zeitung ist nicht darunter). Sie weist in einem Schreiben an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit einiger Dringlichkeit auf die Umstände hin.
Der fragliche Passus im Medienstaatsvertrag, der Intermediären die Ungleichbehandlung von Inhalten erlaubt, sei „aus Sicht aller Inhaber von Urheber- und Leistungsschutzrechten mit geltendem Urheberrecht unvereinbar“ und überschreite die Kompetenzen der Länder, schreibt die VG Media. Sei es erlaubt, Inhalte, bei denen Urheberrechte zu beachten sind, zu diskriminieren, führe dies dazu, „dass journalistisch-redaktionelle Angebote, ob Inhalte der Sendeunternehmen oder der Presseverleger, von Intermediären wie Google und Facebook unter anderem bei der Anzeige der Ergebnisse von Suchmaschinen und News-Aggregatoren, diskriminiert werden dürfen“. Ein „genereller Verweis“ wie dieser konterkariere die „Durchsetzung unionsrechtlich vorgegebener und bundesgesetzlicher vorgeschriebener urheber- und leistungsschutzrechtlicher Positionen“. Das bedeute: „Inhaltsanbieter, die ihre Rechte durchsetzen, dürfen ungleich behandelt werden. Folge davon wird sein, dass diese gar nicht verbreitet werden oder sich nur auf den ,hinteren Plätzen‘ wiederfinden.“
Der europäische und der deutsche Gesetzgeber, so die VG Media, habe Sendern, Verlegern und Urhebern Rechte gewährt, um eine „aus den Fugen geratene“ kostenlose Nutzung von Inhalten durch „marktbeherrschende Plattformen zu verhindern“. Der Entwurf des Staatsvertrags widerspreche diesem Ziel, er verstoße gegen das deutsche Urheberrecht und das Kartellrecht und stütze das „fehlende Vielfaltsinteresse der Medienintermediäre“. Obendrein verstoße er gegen die im Grundgesetz in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 16 normierte Kompetenz des Bundes im Wettbewerbsrecht und ignoriere den „Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung“. Er trage dem Umstand, „dass Plattformen und Medienintermediäre marktbeherrschende Stellungen innehaben und zur Beachtung auch von Immaterialgüterrechten angehalten werden müssen, nicht Rechnung“. Die Durchsetzung von Urheberrechten werde „praktisch unmöglich“.
Vertrag mit dem EU-Recht vereinbar?
Ob das den Zielen der Bundesländer entspricht, die fünf Jahre lang über den Medienstaatsvertrag beraten haben? Entspricht es der Maßgabe, von der parteiübergreifend die Rede war, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt zu erhalten und zu stärken? Ist das der Beitrag der Hamburger Senatsregierung, die den Passus „Medienintermediäre“ im Medienstaatsvertrag von Anfang bis Ende federführend betreut hat?
Am 4. März wollen sich die Rundfunkreferenten der Bundesländer mit dem Entwurf des Medienstaatsvertrags und seiner ausformulierten Begründung abschließend beschäftigen. Danach soll er zur Unterschrift an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gehen, die dem Vertrag dem Grundsatz nach im vergangenen Dezember zugestimmt haben. Verzögert wird dies ein wenig, weil der Staatsvertrag zurzeit zur Prüfung bei der EU-Kommission liegt, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Die Kommission prüft, ob der Vertrag mit dem EU-Recht vereinbar ist. Bis Ende April gilt die sogenannte „Stillhaltefrist“, während der ein Mitgliedstaat ein zu prüfendes Gesetz oder einen Vertrag noch nicht annehmen darf. In Kraft treten soll der Medienstaatsvertrag im Herbst dieses Jahres.