Emmanuel Macron : Da kommt Europas gestiefelter Messias
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Macron will für Europa und die EU kämpfen. Doch er vertritt eine anti-politische EU. Bild: AFP
Frankreichs neue „extreme Mitte“ steht in unguter Tradition. Der neue Präsident betreibt keine Post-, sondern Anti-Politik. Gewählt wurde er nur von einer Minderheit.
Hinter dem scheinbaren Triumph des neuen Präsidenten Emmanuel Macron verbirgt sich eine Krise der modernen Demokratie – ausgerechnet in Frankreich. Ist das als Mutterland der Revolution geltende Nachbarland in Europa etwa ein politisches Labor für den ganzen Kontinent? Jedenfalls spricht die belgische, in London lehrende Theoretikerin des Linkspopulismus, Chantal Mouffe, angesichts Macrons von „Postpolitik“. Und so, wie die Wahl Macrons und die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung herbeigeführt wurden, argwöhnen viele Franzosen ein raffiniertes politisches Falschspiel. Nach dem monatelangen Gepokere um die Wahlen sieht es sogar schlichtweg nach einem Ende der Demokratie aus – und das haben die Franzosen mit ihrer historischen Verweigerung in beiden Wahlen quittiert.
Dabei sind drei Viertel der neugewählten französischen Parlamentarier bisher noch nicht als gewählte Politiker in Erscheinung getreten. Sie sind im Durchschnitt sechs Jahre jünger als ihre Vorgänger, und mit vierzig Prozent war die Anzahl der Frauen unter ihnen noch nie so hoch. Diese Erneuerung des politischen Personals wird vor allem außerhalb von Frankreich als eine zivilgesellschaftliche Revolution begrüßt; selbst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin kamen sehr freundliche Worte in diesem Sinne.
Die Abgeordneten sind fasziniert vom Präsidenten
Nur: Die Frauen und Männer der République en Marche sind politisch gar nicht so jungfräulich, viele von ihnen haben durchaus schon Erfahrungen mit politischen Nebentätigkeiten oder Ehrenämtern. Sie stammen oft aus der zweiten Reihe der klassischen Rechten oder der bisher regierenden Sozialistischen Partei, und manche sind erst in letzter Minute auf den Zug der von Macron neugegründeten Bewegung und Partei als Katalysator ihrer politischen Karrieren aufgesprungen.
Was auch immer sie für den Job als Abgeordnete qualifiziert haben mag – die meisten von ihnen erliegen der Faszination, die von dem jüngsten französischen Präsidenten der Geschichte ausgeht. Macron war vor fünf Jahren noch Berater François Hollandes. Dessen Rhetorik eines „Nicht rechts, nicht links“ geht in einer nicht so ganz neuen Form von politischem Engagement auf, die sich vor allem in einem absoluten Vertrauen auf den Mann an der Spitze begründet. Der Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon benutzte den Begriff „Die Besessenen“ (in Anlehnung an Dostojewskij). Er meint die Adepten und Gläubigen der Generation „Start-up“ und einer uneingeschränkten Bejahung eines Lebens im System à la Macron.
Macron zeigte sich neoliberal
„Bereichern Sie sich!“, schien die Quintessenz der Botschaft Macrons am 7. Januar 2015 im linksliberalen „Nouvel Observateur“ zu sein, als er gerade noch Finanz-, Industrie- und für die Digitalisierung zuständiger Minister unter Hollande war – bevor er den Präsidenten im August 2016 im Regen stehen ließ und zu seinem Siegeszug ansetzte: Macrons Parole von den „jungen Franzosen, die Lust haben müssten, Milliardäre zu werden“ erinnert verdächtig an den berühmten Satz François Guizots, der mit dieser Aufforderung als Minister der sogenannten Juli-Monarchie (1830 bis 1848) und Verfechter des autoritären Liberalismus in die Geschichte einging.
Solche neoliberalen Floskeln entsprechen also uralten Illusionen und dominieren heute im Repertoire des Storytellings für Emporkömmlinge, in Frankreich und anderswo.
Macron war Kandidat der Unternehmer
Die unmittelbare, sehr persönliche Fixierung auf einen charismatischen Leader ist dabei nichts Neues und ist in der Tradition des Bonapartismus begründet. Napoléon Bonaparte war es, den Maximilien Robespierre als den „gestiefelten Messias“ vorhersagte, der schließlich der Französischen Revolution den Garaus bereiten würde. Die royale Inszenierung im Louvre am Abend des Wahlsieges im Mai erinnert sehr an den Neffen seines kaiserlichen Vorgängers, Napoléon III., der von der jetzt übrig gebliebenen kleinen Linksopposition in der Nationalversammlung gern mit Macron assoziiert wird. Die persönliche Machtfülle des Präsidenten charakterisiert die französische Verfassung seit 1958. Aber es waren die Sozialisten, die 2002 den Wahlkalender insoweit auch noch verschlimmerten, als sie die Parlaments- den Präsidentschaftswahlen unmittelbar anhängten und unterordneten.
Kritiker wie der Philosoph Michel Onfray sprechen rundweg von einem Putsch der vierzig an der Börse notierten großen Firmen und Konzerne. Und sicherlich war Macron der Kandidat der Patronats-Vereinigung „MEDEF“, die ihn früh öffentlich unterstützt hatte. Es kann zwar keine Rede davon sein, dass diese Wahlen illegal gewesen wären, aber diese Machtübernahme wirkt angesichts der insgesamt massiven Wahlverweigerung doch fragwürdig. Sie sei wohl eher als „ziviler Widerstand denn als Wahlmüdigkeit“ zu bewerten, meint der Gründer der anderen neuen politischen Bewegung bei diesen Wahlen, Jean-Luc Mélenchon, der mit siebzehn Abgeordneten der „Unbeugsamen“ (Les Insoumis) in die Nationalversammlung einzieht.
Sozialdemokraten wurden abgestraft
Im alten Parteienspektrum hat ihrerseits die Sozialistische Partei und deren Ex-Präsident Hollande eine besonders zwielichtige Rolle zugunsten des unaufhaltsamen Aufstiegs dieses neuen Bonaparte gespielt. Anstatt einer linken Politik und entgegen allen Versprechungen („Mein Feind ist die Hochfinanz“) wurde die ursprünglich der Rechten zugerechnete „Angebotspolitik“ und Austerität zum Credo der Sozialisten. Als sich der politisch gescheiterte Hollande im November 2016 entschloss, von einer zweiten Kandidatur zurückzutreten, kam es in der PS zu einer Schmierenkomödie sondergleichen. Das ging so weit, dass die Parteiführung Macron gegen ihren eigenen Kandidaten Benoît Hamon ausspielte und unterstützte.
Die Quittung für ihr vielfach als Verrat empfundenes Pokerspiel erhielten die Sozialdemokraten mit dem Verlust von 251 Abgeordnetensitzen. Zu der historisch massiven Stimmenthaltung haben nicht zuletzt diese Machenschaften beigetragen. Unter den dreißig verbliebenen Sozialisten sind übrigens zehn Abgeordnete, entsprechend ihren Abmachungen vor der Stichwahl zur Nationalversammlung, dem Lager der absoluten Macron-Mehrheit zuzurechnen.
Das Extreme Zentrum
Jetzt geistert das Wort vom siegreichen „Extremen Zentrum“ durch die Analysen, und es ist anstelle einer Revolution à la Macron zutreffender, auch wenn er den Begriff in seinem gleichnamigen Buch großsprecherisch seines eigentlichen Sinnes beraubt. Statt der alten demokratischen Opposition zwischen rechts und links ließ die Operation „Extremes Zentrum“ den Franzosen scheinbar nur noch die Wahl zwischen Finanzwirtschaft oder Faschismus. Und die Ironie ist: Macrons „Nicht rechts, nicht links“ wurde immer schon von den Rechtsextremen reklamiert.
Die von der Europäischen Zentralbank diktierte Austeritätspolitik soll also das einzige Rezept gegen den „Populismus“ sein – ein Begriff, den man mit Vorsicht gebrauchen sollte. Weil er dazu beiträgt, die verbliebene linke Opposition der Insoumis und anderer Linker, wie der letzten zehn Kommunisten in der Nationalversammlung, in einen Topf mit dem Rechtsextremismus zu werfen. Genau dieses Amalgam ist aber der strategische Schlüssel von Macrons Anti-Politik (und nicht: Post-Politik).
Macron begeistert nur eine Minderheit
Die Offensive des „Extremen Zentrums“ hat zum Ziel, jedwede Kritik an der schönen neuen Welt des Neoliberalismus von vorneherein zu diskreditieren. Die Erfahrungen mit dem Front National Marine Le Pens zeigen dort, wo er auf lokaler Ebene bereits an der Macht war oder ist, wie wenig sich die Rechtsextremen etwa um soziale Gerechtigkeit scheren. Die extreme Wahlverweigerung seitens der weniger Bemittelten und der Jungen liegt daran, dass im politischen Spektrum kaum noch jemand Maßnahmen zur Umverteilung von Reichtum einfordert.
Tatsächlich sieht es ganz danach aus, als hätten sich die allgemeinen und freien Wahlen 2017 wieder in „Zensus-Wahlen“ gewandelt. Diese wurden vom Minister der Juli-Monarchie, François Guizot, so entschieden befürwortet, und gegen sie hatte sich immerhin die Revolution von 1848 ausdrücklich gerichtet. Es ist auch heute faktisch nur eine Minderheit, die Macron und die Seinen wirklich begeistert haben: die coolen Auserwählten der neuen digitalen und urbanen Wohlstandsgesellschaft.
Die Zeit der Anti-Politik
Das vereinte Europa gibt sich seit den neunziger Jahren als schillernde Vitrine der einzig möglichen neuen Welt. Permanente historische Kompromisse zwischen der Macht des Geldes und den demokratischen Staatswesen im Westen Europas erhielten seit 1945 nur den Anschein aufrecht, eine Neuverteilung von Reichtum, soziale Gerechtigkeit würden dabei eine größere Rolle spielen. Es ist dieser Wohlfahrtsstaat, mit dem die neue Anti-Politik jetzt endgültig aufräumen will. Macron steht auf der Seite des Europas, das am 13. Juli 2015 die griechische Regierung gezwungen hatte, das Mandat zu brechen, für das sie gewählt worden war. Zehn Jahre zuvor wurde auch schon das eindeutige Votum der Franzosen gegen dieses Europa beim Referendum von 2005 ignoriert. 2017 ist es die staatliche Souveränität als solche, die durch die Anti-Politik obsolet wird.
Laut einem jüngst veröffentlichten Originalbericht der CIA von 1985 hatte der amerikanische Geheimdienst in den siebziger Jahren vor allem den herausragenden Philosophen des Engagements für soziale Gleichheit und Gerechtigkeit, Jean-Paul Sartre, ins Visier genommen. Die Vertreter der „Neuen Philosophie“ und der „French theory“ (Foucault, Derrida) wurden dagegen in ihrem Wirken ermuntert, weil sie es eben waren, die das Engagement der Intellektuellen für überkommen hielten. Sartre hatte wohl recht: Intellektuelle müssen sich engagieren, weil eine inhaltsleere Demokratie kein Bollwerk mehr gegen die Gefahr von rechts darstellt. Sie bereitet ihr eher den Weg.