Kriegsdenkmäler in Russland : Die unfassbare Lüge dieser Helden
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Die Journalisten der „Krasnaja Swesda“ waren sich völlig im Klaren darüber, was sie taten: Mit einem starken Vorbild wollten sie die Kämpfer an der Front zur Selbstaufopferung ermutigen. Interessanterweise wurde niemand von den Beteiligten bestraft. Selbst der Kollaborateur Dobrobabin konnte von seinem Status als hochdekorierter Kriegsheld profitieren: Sein Urteil, 15 Jahre Lager, war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich mild, nach sieben Jahren wurde er begnadigt.
Mythen werden wichtiger, als die Wahrheit
Die Veröffentlichung dieser Unterlagen ist an sich keine Sensation: Ihre Existenz und ihr Inhalt sind längst bekannt und stehen in einer sehr langen Reihe ähnlicher Enthüllungen. Sensationell ist die öffentliche Reaktion. Bisher wurden solche Publikationen vom konservativen Teil der Gesellschaft als liberale Fälschungen abgetan und von den Liberalen als ein weiterer Beweis sowjetischer Verlogenheit gleichgültig zur Kenntnis genommen. Diesmal wird an der Echtheit der Dokumente nicht gezweifelt. Das Leitmotiv der neuen Kritik lautet: Wir brauchen keine Wahrheit, wenn sie unser Selbstbild in Frage stellt.
So gierig die russische Gesellschaft in der Zeit von Glasnost und Perestrojka nach der Wahrheit war, so besessen ist sie jetzt nach der Stabilität und Unerschütterlichkeit ihrer Identität. Sogar konservative Intellektuelle erklären auf einmal programmatisch: Unsere Mythen sind uns wichtiger als die Wahrheit. Der Philosoph und Rektor einer Petersburger Universität Aleksander Sapessotskij spricht von der „schändlichen Mode, Heldentaten anzuzweifeln“, und sagt: „Wir wurden im Geiste der zahlreichen Selbstaufopferungen für die Heimat erzogen. Wenn etwas, woran wir glauben, zur Lüge erklärt wird, dann ist unsere Entrüstung mehr als berechtigt.“
Kritik von allen Seiten
Es gab, führt der Professor fort, viel mehr als 28 Tote, und selbst wenn Panfilows Division ganz woanders kämpfte, darf man die Geschichte unserer Heimat nicht mit „Enthüllungen“ schänden. Kulturminister Wladimir Medinskij äußerte sich dazu noch viel deutlicher: „Diejenigen, die mit ihren dreckigen fettigen Fingern in der Geschichte von 1941 herumwühlen, sollte man mit der Zeitmaschine in die Gräben von damals mit einer Handgranate gegen faschistische Panzer schicken. Meine Überzeugung: Man soll mit dem widerlichen Beschmutzen dieses Themas aufhören.“
Das Pikante an der Situation ist, dass das Kulturministerium den Dreh eines Films über die 28 Panfilow-Helden mitfinanziert. Der Regisseur Andrej Schaljopa denkt nicht im Traum daran, etwas am Drehbuch zu verändern: „Das ist der Versuch, die geistigen Stützen des Volkes zu zerstören.“ Als der staatliche Sender „Rossija-24“ eine Meldung über die veröffentlichten Unterlagen ausstrahlte, tobten die Zuschauer in den sozialen Netzwerken: „Ihr seid jetzt Handlanger der Faschisten und der Amerikaner.“ Zur selben Zeit verurteilte ein Gericht das einzige russische GULag-Museum im ehemaligen Lager Perm-36 zu einer Geldstrafe, weil es sich nicht in die Liste „ausländischer Agenten“ beim Justizministerium eintrug.